WOLFSBURG (dpa-AFX) - Der neue Volkswagen-Konzernchef Oliver Blume hat - zumindest was die Geschäftszahlen angeht - auf den ersten Blick ein ordentlich laufendes Unternehmen übernommen. Steigende Verkaufs- und Gebrauchtwagenpreise spielten VW zuletzt in die Karten, und nun soll sich auch die mangelnde Versorgung mit Halbleitern allmählich legen. Doch zumindest in Europa droht eine Rezession. Wie gut das Unternehmen dafür gerüstet ist, wird Anleger rund um die Quartalszahlen an diesem Freitag (28. Oktober) interessieren.

DAS IST LOS BEI VOLKSWAGEN UND PORSCHE:

Die Erwartungen an den neuen VW-Chef sind groß: Einerseits von den Großaktionären der Familien Porsche und Piech, die ihm neben dem Chefposten bei der Sportwagentochter Porsche AG auch noch zutrauen, die ungleich schwierigere Aufgabe im Wolfsburger Konzerngeflecht im Griff zu haben. Andererseits auch von Betriebsräten, die sich nach dem forschen Herbert Diess einen Teamplayer als Chef wünschen. Und nicht zuletzt die sonstigen Aktionäre, die eher mit Argwohn auf seine Doppelfunktion und die sonstigen Interessenverflechtungen im Konzern blicken.

Blume muss neben den Anforderungen im Tagesgeschäft den schwierigen Umbau hin zu Elektromotoren und künftig softwarezentrierten Autos steuern. Das wird auch weiter Milliardeninvestitionen erfordern - gleichwohl sind die Renditeerwartungen von Investoren in der jüngsten Zeit auch bei VW eher noch gestiegen.

So ist es Blumes Aufgabe, eine passende Softwarestrategie auf die Beine zu stellen, woran sein Vorgänger letztendlich gescheitert ist. Was aus dem Porsche-Umgang mit dem Thema klar ist: Die einzelnen Marken aus dem VW-Reich werden mehr zur Entwicklung der Software beisteuern, als Diess geplant hatte. Was aus der mit Milliarden hochgezüchteten Software-Zentraltochter Cariad wird, steht damit auch wieder auf wackligen Füßen.

VW profitierte in vergangenen Quartalen vor allem mit den Töchtern Audi und Porsche vom starken Preisumfeld bei Neuwagen. Ob es damit weitergeht angesichts knapperer Budgets bei Firmen und Verbrauchern, ist zumindest fraglich. Bei Gebrauchtwagenpreisen, die dem Konzern über die Restwertentwicklung und den Wiederverkauf von Leasingrückläufern zugutekamen, ließ sich am Markt zuletzt schon eine leichte Abkühlung beobachten.

Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer prognostiziert insbesondere für den europäischen Markt angesichts der drohenden Rezession einen Abschwung und eine "Rückkehr der Rabatte" für das kommende Jahr. Der Automarkt kippe in wichtigen Märkten wie Deutschland von einer Angebots- in eine Nachfrageschwäche, urteilte er zudem. Das könnte vor allem Massenhersteller wie die Kernmarke VW Pkw treffen. Allerdings sieht Dudenhöffer die Märkte in China und Nordamerika weiter gut. China ist für die deutschen Autokonzerne - unter anderem auch Volkswagen, inklusive der Marken Audi und Porsche - der wichtigste Markt.

Gerade auch in China muss VW Boden gut machen, vornehmlich auch beim Verkauf der Elektroautos, die der Konzern dort lanciert hat. Zunächst machte der Chipmangel Probleme, dann trat aber auch zutage, dass die chinesischen Kunden deutlich höhere Ansprüche an die digitale Vernetzung im Auto haben als von VW angenommen. VW ist Marktführer in China - bei den Elektroautos fährt der Konzern in der Volksrepublik aber Anbietern wie BYD und Tesla hinterher.

Immerhin bessern sich nun die weltweiten Verkaufszahlen des Konzerns, die lange unter dem Mangel an Chips für die Autoproduktion litten. Im dritten Quartal lieferte die gesamte Gruppe 2,18 Millionen Fahrzeuge aus und damit knapp elf Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Allerdings steht im bisherigen Jahresverlauf noch ein Rückgang von knapp 13 Prozent auf 6,06 Millionen Fahrzeuge zu Buche. Will der Konzern noch wie bislang angepeilt ein Auslieferungsplus von 5 bis 10 Prozent im Gesamtjahr schaffen, fehlen entsprechend noch mindestens fast 3,3 Millionen Fahrzeuge in den letzten drei Monaten.

Beim Umsatz rechnet Finanzchef Arno Antlitz mit einem Plus von 8 bis 13 Prozent zum Vorjahreswert von 250,2 Milliarden Euro. Bei der operativen Umsatzrendite vor und inklusive Sondereinflüssen aus der Dieselaffäre wird ein Wert zwischen 7 und 8,5 Prozent erwartet nach bereinigt 8 Prozent im Vorjahr. Antlitz hat angedeutet, dass man eher das obere Ende der Bandbreite erreichen dürfte.

Die Renditeperle der Wolfsburger ist die jüngst in Teilen an die Börse gebrachte Porsche AG. Für Porsche hatte das Management der Stuttgarter vor dem Börsengang ambitionierte Jahresziele ausgegeben. Der Umsatz soll von 33,1 Milliarden Euro im Vorjahr auf 38 bis 39 Milliarden Euro zulegen, bei einer operativen Marge von 17 bis 18 Prozent. Diese hatte im vergangenen Jahr bei 16 Prozent gelegen. Langfristig hat Blume zusammen mit Porsche-Finanzchef Lutz Meschke sogar mehr als 20 Prozent Marge in Aussicht gestellt.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Credit-Suisse-Experte Richard Carlson rechnet mit einem durchwachsenen Abschneiden des Konzerns im dritten Quartal. Die Verkaufsmengen seien auch dank einer Erholung in China zwar stark geblieben. Die Marge dürfte aber wegen der steigenden Kosten für Rohmaterialien Gegenwind erfahren haben. Das Unternehmen rechne allein für das zweite Halbjahr mit 3,8 Milliarden Euro Zusatzkosten. Alles in allem seien die Kostensteigerungen wohl ernster als zuvor angenommen.

Ein Ausblick auf die Nachfrage im kommenden Jahr sowie die strategischen Ansichten von Konzernchef Blume dürften Thema der Diskussion mit dem Management rund um die Zahlen werden. Risiken bestünden insbesondere bei einem Stopp der Gasversorgung in Deutschland und Europa sowie in weiteren Problemen bei der Softwaretochter Cariad.

Das sieht auch JPMorgan-Analyst Jose Asumendi so, für den Cariad das Hauptthema rund um die Zahlen sein dürfte. Des Weiteren erhofft er sich Aussagen zum Auftragsbuch sowie zur Preisdurchsetzung bei den Marken und in den Regionen.

RBC-Experte Tom Narayan sieht Porsche für die Elektrifizierung gut positioniert. Der Autobauer sollte von seinem Fokus auf Luxusautos profitieren können. Auf dem derzeitigen Niveau nach dem Börsengang sei Porsche am Markt auch fair bewertet. Die erfolgreiche Erstnotiz impliziere bedeutenden Spielraum nach oben für die VW-Aktie.

Die von dpa-AFX seit der jüngsten Zahlenvorlage erfassten 14 Expertenstimmen raten mehrheitlich mit neun Analysten zum "Kaufen" der im Dax gelisteten VW-Vorzugsaktien. Vier Experten sind für "Halten", lediglich Philippe Houchois von der US-Investmentbank Jefferies rät zum "Verkaufen". Das durchschnittliche Kursziel liegt bei fast 197 Euro - noch deutlich über dem aktuellen Kursniveau von etwas unter 130 Euro.

DAS MACHEN DIE AKTIEN:

Das VW-Vorzugspapier ist mit den sich verdüsternden wirtschaftlichen Aussichten rund um den Ukraine-Krieg mit dem Markt deutlich gefallen. Von um die 180 Euro zuvor ging es bis auf 120 Euro im Juli bergab. Davon hat sich der Kurs bis heute bei um die 130 Euro kaum erholen können. In diesem Jahr stehen somit gut ein Viertel Kursverlust zu Buche - mehr als bei den Konkurrenten von BMW und Mercedes-Benz .

Auch der milliardenschwere Teilbörsengang der Sportwagentochter Porsche AG hat die Aktie der Wolfsburger nicht beflügeln können. Manch einer an der Börse wähnt gar einen negativen Effekt: Dass nämlich bestehende VW-Aktionäre nun auch direkt in die Porsche AG investieren können und dafür auf ihr VW-Engagement verzichten. Porsche-Vorzüge liegen derzeit rund einen Monat nach dem Börsengang knapp 19 Prozent über dem Ausgabepreis. Volkswagen-Titel haben seitdem nachgegeben.

Die Größenverhältnisse sind jedenfalls bemerkenswert: Porsche wird mit rund 88 Milliarden Euro bewertet, wenn der aktuelle Kurs auf alle Anteile hochgerechnet wird. Für VW - die Muttergesellschaft, die weiter gut drei Viertel der Anteile hält - reicht es derzeit nur zu rund 77 Milliarden Euro. Dabei verkauft VW ein Vielfaches der pro Jahr rund 300 000 ausgelieferten Porsche-Modelle.

Weit entfernt für die VW-Investoren sind auch die hohen Notierungen von teils über 250 Euro aus dem Frühjahr 2021. Damals hatten Spekulationen über einen Börsengang von Porsche und die erhöhte Schlagzahl von Diess bei Elektroautos und Batterien die Fantasie der Investoren genährt, im Gleichklang mit einem Aufschwung an den Börsen.

Gegen den US-Elektroautobauer Tesla von Star-Unternehmer Elon Musk sehen alle deutschen Autokonzerne alt aus. Mercedes-Benz (62 Mrd Euro) und BMW (51 Mrd Euro) sind in der Investorengunst noch weniger wert als Volkswagen oder Porsche. Tesla hingegen bringt 702 Milliarden Dollar oder umgerechnet 708 Milliarden Euro auf die Waage./men/lew/stk