Könnte das mögliche Ende der Zinssteigerungen den Märkten zum Jahresende nochmal Flügel verleihen? Darüber spricht Martin Kerscher von wO-TV im Interview mit Robert Halver von der Baader Bank.

Martin Kerscher: Herr Halver, sind sie auch auf eine gewisse Art und Weise ratlos gewesen, nachdem was nach der letzten Sitzung der Fed kommuniziert wurde?

Robert Halver: Wenn man die Pressekonferenz mitbekommen,hat da könnte man sagen: Jerome Powell, der US-Notenbank-Chef hat rumgeeiert. Ich frage mich aber, ob das nicht Methode hatte, denn Herr Powell ist ja ein alter Fuchs.

Ich glaube er fährt zweidimensional. Er möchte natürlich auf der einen Seite immer noch klar machen: Die Inflation haben wir im Blick, das ist ganz klar. Die wollen wir bekämpfen, und wenn man das ein bisschen nebulös darstellt, auf der Pressekonferenz diese Unsicherheit darstellt, dann reagiert der Markt darauf, nach dem Motto: Ja: da kommt noch was.

Aber wir sehen auch: Er hat die Zinsen nicht erhöht. Wenn ein Kind in den Brunnen gefallen ist, also wenn die Inflation da ist und wenn die Ängste da sind, dann muss man das Kind so schnell wie möglich rausholen. Also auch die Zinserhöhungen passieren lassen, wie das vor 40 Jahren ein Paul Volcker gemacht hat.

Und daher denke ich mir, er versucht durch die Kraft der Worte die Inflationserwartungen zu dämpfen, damit er nicht mehr viel machen muss. Wenn man die Einschätzung der Finanzmärkte betrachtet, die bleiben ja stur und sagen, es gibt keine Zinserhöhungen mehr in USA.

Martin Kerscher: Das wollen wir jetzt mal abwarten. Es ist ja überhaupt, glaube ich, etwas schwierig ne Inflation zu bekämpfen in den USA angesichts eines Budgetdefizits von sieben Prozent. Macht das überhaupt noch Sinn, das in erster Linie mit Zinspolitik zu versuchen?

Robert Halver: Nein, wir haben natürlich eine dramatische Verschuldungslage in USA, das kann man gar nicht mit anderen Worten sagen. Wir wissen, wofür das Geld drauf geht. Man versucht natürlich das, was im Lande nicht hat - Know How - einzukaufen mit dem Inflation Reduction Act. Diese Maßnahmen, zur Stabilisierung der Wirtschaft die Zukunft gewinnen zu wollen, da werden ja Unsummen bezahlt.

Natürlich treibt diese Überschuldung definitiv auch die Inflation um. Mein Credo war immer schon, na ja, also auch der US Notenbank kann das ja sagen, dass die Inflation nicht mögen und konsequent bekämpfen, aber man muss es dann auch tun. Genau das passiert eben nicht. Ein Paul Volcker, vor 40 Jahren, wohl wissend, dass man andere Zeiten hat, hatte die Zinsen schon längst viel deutlicher erhöht.

Wir haben ja generell hohe Zinsen, wir haben ja den schnellsten Zinserhöhungszyklus, seit Adam und Eva. Von daher lässt es Herr Powell dabei bewenden und sagt: Naja, da müssen wir irgendwie so durchstarten, durch den Nebel dieser Unsicherheit. Ich glaube nicht, dass er noch etwas machen wird. Er hat ja noch einen Schuss frei, aber den wird er ja nicht frühzeitig verschießen, damit er eben auch diese Drohkulisse aufrechterhalten kann.

Martin Kerscher: Was ihm natürlich sehr hilft, oder insgesamt auch den USA sehr hilft, ist ja, dass die die Wirtschaft sehr robust ist. Und das hilft ja nicht nur den Aktienmärkten in den USA. Das hilft ja auch den Aktienmärkten hier in Europa.

Robert Halver: Das Kunstwerk scheint zu klappen in Amerika: Das Soft Landing, die sanfte Landung. Die Wirtschaft wächst dann immer noch wächst, trotz dieser Zinserhöhung und der Liquiditätsverknappung. Das ist schon toll. Und ich bleibe dabei, wenn irgendwann Ende des Jahres, die Zinssenkungsfantasie eintritt, dann hilft das natürlich den Aktienmärkten.

Wir wissen alle, der Zins ist der natürliche Feind der Aktienmärkte. Wenn dann die Fantasie kommt: Da kommt nix mehr, erstens Pause und der nächste Schritt ist südwärts gerichtet. Dann hilft das den Aktienmärkten weltweit, weil der amerikanische Markt nach wie vor eine Signalfunktion hat.

Was natürlich auch hilft: Wir haben mittlerweile real positive Zinsen in Amerika. Wenn die Inflation nicht mehr genommen werden kann um die Verschuldung abzumildern, dann tut es weh. Dann muss der Zins, der der oberhalb der Inflation ist, durch Eigenleistung bezahlt werden. Das bremst dann schon wie ich finde, auch längerfristig die Inflationserwartungen und die Kerninflation.



Martin Kerscher: Von der Vergangenheit wieder ein Blick zurück hier in die Gegenwart. Ich würde da gerne nochmal auf die Aktienmärkte kommen. Ist das nicht letztendlich auch gut für den deutschen Aktienmarkt, insbesondere in den DAX, weil es ja in Deutschland eine wirklich starke Exportindustrie gibt, die davon profitieren würden?

Robert Halver: Ja klar, wenn die Zinssenkungsfantasie eintritt in Amerika, hilft das den Aktienmärkten. Und wenn wir noch dazu nehmen, dass die Chinesen alles dafür tun werden, ihre Wirtschaft zu stabilisieren, dann hilft das auf zwei Seiten. Zinssenkungsfantasie und das fundamentale Umfeld wird auch immer besser. Das sollte gerade den deutschen Aktien, die ja sehr zyklisch konjunkturabhängig geprägt sind, helfen,.

Ich habe immer gesagt: Deutsche Unternehmen können sich von einer deutschen Wirtschaftspolitik abstrahieren, das ist sehr großer Vorteil. Sie können weltweit tätig sein, das sind sie ja auch. Deshalb werden sie davon profitieren, dass die Weltkonjunktur im nächsten Jahr, wie ich finde, eher wieder reflationär, also eher wieder stärker wird. Und da die so günstig sind, unsere deutschen Konjunkturzykliker, würde ich sie kaufen.

Martin Kerscher: Was bedeutet das denn jetzt eigentlich für Privatanleger, dieses Umfeld, dass wir jetzt haben. Können die sich im Prinzip darauf einstellen, dass es vielleicht gegen Jahresende nochmal sowas wie eine Rallye geben wird und sie sich jetzt positionieren sollten oder wie würde ihre Empfehlung lauten?

Robert Halver: Ich bin der Meinung, man sollte gerade auch in den deutschen Zyklikern der zweiten Reihe investieren. Erstens haben wir Bewertungen, die absolut tief sind und trotzdem sind diese Unternehmen toll aufgestellt. Die können was! Ich wiederhole das hier: Deutsche Unternehmen sind sexy, auch wenn der deutsche Industriestandort weniger sexy ist. Dann haben wir die Zinssenkungsfantasie. Die Märkte werden gefressen haben, dass Jerome Powell nichts mehr macht. Und dass auch Frau Lagarde bei der EZB nichts mehr machen wird. Das heißt Zinspause, aber dann gehen wir irgendwann runter.

Wenn sie beides zusammennehmen, das fundamentale und das Zinspolitische, dann ist mir um den Aktienmarkt in der zweiten Jahreshälfte nicht bang, Erste Priorität haben sicherlich die deutschen Zykliker und vergessen wir auch in Amerika die Hightech-Werte nicht: Zinsangst geht, High-Tech kommt.

Martin: Kerscher: Vielen dank, Herr Halver, für diese Einschätzung.

 

Dieses Interview ist ursprünglich auf unserem YouTube-Kanal wallstreetONLINE TV erschienen


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