BERLIN (dpa-AFX) - Die Anordnung einer Teilmobilmachung in Russland mit der geplanten Einziehung von 300 000 Reservisten wird von Regierungspolitikern in Deutschland vorrangig als "Zeichen der Schwäche" gedeutet. Zugleich wurden am Mittwoch Sorgen vor einer weiteren Eskalation laut. Aus der Opposition kamen unterschiedliche Bewertungen.

Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete die jüngsten Entscheidungen von Präsident Wladimir Putin und seiner Regierung als "Akt der Verzweiflung". "Russland kann diesen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen", sagte der SPD-Politiker in New York am Rande der UN-Generalversammlung. Putin habe die Situation von Anfang an "komplett unterschätzt". Das gelte sowohl für den Widerstandswillen der Ukrainer als auch für die Geschlossenheit der Freunde der Ukraine.

In einer Fernsehansprache hatte der russische Präsident eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet. Zuvor hatte die ukrainische Armee die russischen Truppen in der Ukraine in den vergangenen Tagen teils stark zurückgedrängt.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sprach am Mittwoch von einem "Zeichen der militärischen und politischen Schwäche". Putin versuche nicht nur die Ukraine zu zerstören, sondern er ruiniere auch sein eigenes Land. "Skrupellos und brutal schickt er erneut Tausende junger Menschen in einen sinnlosen Tod in diesem brutalen und verbrecherischen Krieg", sagte die SPD-Politikerin. "Russland sollte sich jedoch nicht täuschen: Wir werden in unserer Unterstützung für den mutigen Abwehrkampf der Ukraine nicht nachlassen."

Auch FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner sprach von einem "Zeichen der Schwäche". "Die Ukraine lässt sich davon nicht einschüchtern und wir sollten es auch nicht tun", sagte Lindner in Berlin. Die Teilmobilmachung zeige aber, dass man es mit einem noch lange dauernden Konflikt zu tun habe. Lindner sprach davon, die Ukraine dauerhaft zu unterstützen.

Koalitionspolitiker äußerten aber auch Sorgen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, sagte, "es ist auch eine neue Eskalation". Die Teilmobilmachung zeige, dass Putin gewillt sei, auch weitere Schritte zu gehen. Der FDP-Verteidigungspolitiker Ulrich Lechte sagte, die Anordnung mache deutlich, dass Russland bei seinem Angriffskrieg offenbar erhebliche militärische Verluste zu verzeichnen habe. "Eine weitere Eskalation ist unter diesen Umständen denkbar - ungeachtet dessen müssen und werden wir weiterhin fest an der Seite der Ukraine stehen."

Sara Nanni, Obfrau der Grünen im Verteidigungsausschuss, sieht Russland "unter Druck". Die Teilmobilmachung zeige aber auch: "Präsident Putin wird nicht von seinem Plan absehen, sich die Ukraine einzuverleiben." Die Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression sei kein Staffellauf, sondern ein Triathlon. "Auf die nächsten Tage blicke ich mit großer Sorge", sagte sie "t-online".

Die Reaktionen aus der Opposition fielen unterschiedlich aus. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) sagte, dass Putin endgültig die Maske fallen lasse. "Die Ukraine hat die Möglichkeit, das eigene Land erfolgreich zu verteidigen und von Russland besetzte Gebiete zu befreien." Doch dafür brauche es mehr als zuletzt substanzielle Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft in Form von schweren Waffen. "Es ist höchste Zeit, dass Deutschland endlich den entscheidenden Schritt geht und Kampf- und Schützenpanzer westlicher Bauart liefert", sagte Wadephul laut Mitteilung.

AfD-Co-Chef Tino Chrupalla warnte: "Der Dritte Weltkrieg droht, und Deutschland wäre wegen der Eskalationsstrategie der Ampel direkte Kriegspartei." Waffenlieferungen an die Ukraine führten zur Eskalation und zögen Deutschland in den Krieg hinein. Die Bundesregierung müsse sich für Friedensverhandlungen einsetzen "und eine atomare Konfrontation abwenden." Deutschland habe im Ukraine-Krieg nichts zu gewinnen, "aber alles zu verlieren."

Die Co-Parteichefin der Linken, Janine Wissler, forderte eine Aufnahme von Flüchtlingen aus Russland. "Menschen, die jetzt aus Russland fliehen, weil sie den Krieg ablehnen und nicht als Reservisten eingezogen werden wollen, brauchen Schutz und Asyl. Deutschland muss schnelle und unkomplizierte Aufnahmemöglichkeiten garantieren", sagte sie "t-online". Menschenleben würden immer mehr zum "Verschleißmaterial eines verbrecherischen Krieges Putins"./jr/bw/cn/mfi/DP/stw

Quelle: dpa-AFX