Die Energiewirtschaft hat wegen des verstärkten Einsatzes von Kohlekraftwerken in diesem Jahr Ziele zur Einsparung klimaschädlicher Treibhausgasemissionen voraussichtlich gerissen. Erstmals seit vielen Jahren seien die CO2-Emissionen der Energiewirtschaft leicht gestiegen statt gesunken, teilte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) auf Grundlage vorläufiger Berechnungen mit. BDEW-Chefin Kerstin Andreae sprach von einem Rückschritt für das Klima und forderte mehr Tempo beim Ökostrom-Ausbau.

Dabei fällt der Energieverbrauch in Deutschland in diesem Jahr wohl auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung 1990. Im Vergleich zum Vorjahr werde der Verbrauch um 4,7 Prozent auf 11.829 Petajoule zurückgehen, wie die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen in Berlin berichtete. Die stark gestiegenen Energiepreise hätten sowohl zu Einsparungen wie auch zu Investitionen in die Energieeffizienz mit mittel- bis langfristiger Wirkung geführt.

CO2-Emissionen bei 260 Millionen Tonnen

Mineralöl hatte der Schätzung zufolge einen Anteil von 35,2 Prozent am gesamten Primärenergieverbrauch (Vorjahr 32,5 Prozent). Erdgas kam auf 23,8 Prozent (Vorjahr: 26,6). Die Erneuerbaren Energien erreichten einen Anteil von 17,2 (Vorjahr: 15,7) Prozent. Auch Kohle legte zu: Braunkohle hatte 2022 einen Anteil von 10 Prozent (Vorjahr: 9,1 Prozent) am gesamten Primärenergieverbrauch. Der Anteil der Steinkohle erhöhte sich von 8,9 auf 9,8 Prozent. Hier spielte die verstärkte Verstromung eine wichtige Rolle.

Der Anteil von Braun- und Steinkohle an der Bruttostromerzeugung stieg nach den BDEW-Zahlen 2022 von 28,3 Prozent auf 31,9 Prozent. Grund sei die Rückkehr von Kohlekraftwerken, um Gas einzusparen. Dazu komme die Stilllegung von Atomkraftwerken Ende 2021.

Die CO2-Emissionen der Energiewirtschaft lagen nach den vorläufigen Berechnungen 2022 bei 260 Millionen Tonnen. Das im Klimaschutzgesetz vorgesehene Sektorziel liegt bei 257 Millionen Tonnen. In den kommenden Jahren sind keine Jahresziele mehr vorgegeben. Bis 2030 sollen die Emissionen auf 108 Millionen Tonnen sinken.

Mehr Tempo bei erneuerbaren Energien gefordert

Man müsse nun so schnell wie möglich wieder in die Spur kommen, sagte Andreae. «Wir brauchen mehr Geschwindigkeit beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, beim Aus- und Umbau der Netze, bei der Entwicklung eines Wasserstoffmarktes.» Das Motto laute: «Tempo, Tempo, Tempo».

Beim Ausbau des Ökostroms fehlten nach wie vor Flächen. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren seien zu lang. Im vergangenen Jahr stieg der Anteil der Erneuerbaren Energien bei der Bruttostromerzeugung von 40,5 auf 44,6 Prozent. Ziel der Bundesregierung ist es, den Anteil bis 2030 auf mindestens 80 Prozent zu steigern. Die Regierung hatte umfangreiche Maßnahmen für einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne auf den Weg gebracht, die aber noch wirken müssen.

Debatte um Fortführung der Kernenergie

Zurückhaltend äußerte sich Andreae zu der von der FDP angestoßenen Debatte um einen Weiterbetrieb der drei Atomkraftwerke in Deutschland. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte, die FDP stehe weiterhin für eine Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Kernkraftwerke über den April 2023 hinaus zur Verfügung. Neben der Strompreisentwicklung beobachte seine Partei mit Sorge, dass die CO2-Emissionen nicht schnell genug sänken, weil zu viel Kohle verbrannt werden müsse.

Andreae sagte, die Debatte um eine Fortführung der Kernenergie über den April hinaus sei keine «realistische Option». Sie verwies auch auf Stellungnahmen der Betreiber. Die Bundesregierung solle eine Debatte um das Zukunftsthema erneuerbare Energien führen.

Die Bundesregierung hatte nach einem Machtwort von Kanzler Olaf Scholz (SPD) beschlossen, dass die drei verbliebenen Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus bis zum 15. April weiterlaufen sollen. Danach soll mit der Nutzung der Atomkraft Schluss sein.

Erdgasverbrauch gesunken

Der Erdgasverbrauch in Deutschland sank laut BDEW-Zahlen im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 14,8 Prozent. Grund seien die mildere Witterung und Einspareffekte aufgrund der stark gestiegenen Preise. Es seien aber weitere Anstrengungen notwendig, sagte Andreae. Der Anteil russischer Gaslieferungen sank in diesem Jahr auf 20 Prozent, nach 55 Prozent im vergangenen Jahr.

Ziel Deutschlands war es seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar, die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu verringern. Russland hatte im Jahresverlauf Lieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1 unter Verweis auf technische Probleme gedrosselt. Im September wurde die Pipeline durch Explosionen beschädigt, seitdem fließt über sie kein Gas mehr nach Deutschland.

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