Wie können lokale Stromnetze vor Überlastung geschützt werden, wenn Millionen von Elektroautos geladen werden und strombetriebene Wärmepumpen laufen? Mit «netzorientierter Steuerung», sagt das Energiewirtschaftsgesetz neuerdings. Doch wie soll das gehen? Seit Wochen wird kontrovers über die Regeln debattiert. Kritiker warnen vor einer Drosselung für Wärmepumpen und Wallboxen. Schon jetzt ist klar: Die Regeln könnten Folgen für Millionen von Stromverbrauchern haben. Ab Januar 2024 sollen sie gelten.

Was das Problem ist

Der Stromverbrauch in Deutschland wird in den kommenden Jahren deutlich ansteigen. Im Verkehrsbereich sollen Millionen von E-Autos dazu beitragen, dass Klimaziele erreicht werden, in Gebäuden sollen Millionen Wärmepumpen eingebaut werden.

Dieser schnelle Anstieg neuer Verbraucher aber stellt die Stromnetze vor große Herausforderungen, wie es in einer Stellungnahme der Deutsche Energie-Agentur an die Bundesnetzagentur heißt. Insbesondere die Niederspannungsnetze seien in der Regel nicht auf Lastspitzen ausgelegt, die bei einem gleichzeitigen Strombezug dieser neuen Verbraucher auftreten könnten. Ein Netzausbau tut not, doch der dauert, kostet viel Geld und braucht viele Fachkräfte, die im Moment rar sind.

Wie die geplante Lösung aussieht

Damit der Hochlauf von Elektroautos und Wärmepumpen nicht durch Kapazitätsengpässe im Stromverteilnetz aufgehalten wird, sollen Netzbetreiber solche Engpässe durch Steuerung vermeiden. Darum geht es im Kern. Nach der Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes kann die Bundesnetzagentur dafür bundeseinheitliche Regelungen treffen.

Im November hat die Netzagentur erste Eckpunkte vorgelegt. Darin heißt es, die Verteilernetzbetreiber sollen die Möglichkeit bekommen, im Bedarfsfall steuernd einzugreifen - um einen sicheren Netzbetrieb aufrecht erhalten zu können. Gleichzeitig sollen sie aber nur so viel steuern wie unbedingt nötig, um den «Komfort» des Kunden so wenig wie möglich einzuschränken. Es gehe um eine temporäre Reduzierung des Strombezugs aus dem Netz. Die Gegenleistung für Verbraucherinnen und Verbraucher: ein pauschaler Rabatt auf das Netzentgelt.

Steuerbare Wärmepumpen, private Ladestationen sowie Stromspeicher sollen dann vor allem dann betrieben werden, wenn der Strompreis wegen hoher Einspeisung von erneuerbaren Energien gering ist. Die Steuerbarkeit soll es den Netzbetreibern dabei ermöglichen, Engpässe und damit lokale Stromausfälle zu vermeiden.

Was das konkret für Verbraucher bedeutet

Wenn ein Engpass droht, sollen nach dem Konzept der Bundesnetzagentur zum Beispiel Wallboxen auf eine Leistung von 3,7 Kilowatt heruntergedrosselt werden können, um eine Überlastung zu verhindern. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) rechnet dabei mit einer dreifachen Ladezeit für E-Autos und warnt vor «erheblichen Komforteinbußen» bis hin zu Nutzungseinschränkungen.

Beim Bundesverband Wärmepumpe heißt es, schon jetzt gebe freiwillige Vereinbarungen, um Wärmepumpen für einen Spitzenausgleich bis zu zwei Stunden abzuschalten - ohne Komfortverlust für die Haushalte. Nach den Eckpunkten der Bundesnetzagentur aber soll dies verpflichtend werden. Darin fehlten aber noch Detailvorgaben, bemängelt der Verband. Viele Wärmepumpen im Bestand ließen sich technisch auch nicht auf eine Leistung von 3,7 Kilowatt herunterfahren, so die Hersteller. Sie würden sich dann automatisch vollständig abschalten.

Was die Autoindustrie und andere fordern

Ein Bündnis aus dem Bundesverband Neue Energiewirtschaft, dem Bundesverband Wärmepumpen, dem VDA und dem Verbraucherzentrale Bundesverband fürchtet erhebliche Einschränkungen für Verbraucher. Nötig seien Obergrenzen für «Notfall-Abdrosselungen» sowie zusätzliche Maßnahmen, um eine Netzüberlastung präventiv zu vermeiden - zum Beispiel zeitvariable Stromtarife. «Die Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren dann finanziell davon, wenn sie ihre Ladevorgänge in Randzeiten niedriger Netzauslastung verlagern», so ein VDA-Sprecher. Direkte Steuerungseingriffe des Netzbetreibers dürften nur letztes Mittel sein.

Lion Hirth, Energieexperte an der Hertie School in Berlin rät zu Anreizen, dann zu laden, wenn Platz in den Netzen sei. Voraussetzung sei, dass Deutschland bei der Digitalisierung des Stromsystems endlich entscheidend vorankomme. «Man braucht intelligente Messeinrichtungen, die das auch in Echtzeit übermitteln können. Deutschland ist hier spektakulär schlecht im internationalen Vergleich.»

Was die Energiebranche entgegnet

Der VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik weist die Kritik des Verbände-Bündnisses zurück, dass Netzbetreiber im Fall einer drohenden Netzüberlastung Geräte «einseitig und unbegrenzt» abdrosseln dürften. Kunden wüssten von Anbeginn, dass sie betroffen sein könnten und erhielten dafür eine finanzielle Vergütung in Form eines reduzierten Netzentgeltes - unabhängig davon, ob sie in der Folge tatsächlich von Steuerungsmaßnahmen betroffen seien.

«Unbegrenzt abdrosseln» sei nicht gegeben. Es gebe Mindestgrenzen, die nicht unterschritten werden dürften und es den Kunden ermöglichten, ihre normalen Stromverbraucher weiter zu betreiben. «Selbst der Ladevorgang eines E-Autos ist damit möglich, wenn auch mit reduzierter Leistung und damit längerer Ladezeit», so der VDE.

Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hält die Sorge für unbegründet, dass Verbraucher zeitweise nicht mit Strom versorgt werden könnten. Die geplante Regelung gelte nur für Haushalte, die etwa eine Wallbox oder eine Wärmepumpe installiert hätten, sagte Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. Der Haushalt selbst bleibe von einer möglichen kurzzeitigen Dimmung unberührt. «Kühlschrank, Waschmaschine und Internet laufen weiter wie bisher.»

Oberste Prämisse sei nach wie vor der Netzausbau. «Die Möglichkeit zur kurzzeitigen Dimmung ist eine Ultima Ratio-Maßnahme, bis das Netz an den neuen Bedarf angepasst ist.» Die punktuelle Steuerung ersetze den Netzausbau nicht, sondern gewährleiste kurzfristig die Versorgungssicherheit.

Wie es weitergeht

An diesem Donnerstag gibt es bei der Bundesnetzagentur eine öffentliche Anhörung, in der die strittigen Punkte nochmal diskutiert werden. Im zweiten Quartal will die Behörde dann einen konkreten Regelungs-Entwurf veröffentlichen. Anschließend können sich auch dazu nochmal alle Betroffenen äußern. Im Herbst will die Behörde dann die endgültige Regelung vorlegen, die ab Januar 2024 gelten soll.

© dpa-infocom, dpa:230315-99-958171/4