Fast zehn Jahre lang ging es gut, jetzt zieht Adidas die Reißleine: Unter anderem wegen antisemitischer Äußerungen kündigt der fränkische Sportartikelhersteller die Zusammenarbeit mit Rapper Kanye «Ye» West. «Die jüngsten Äußerungen und Handlungen von Ye sind inakzeptabel, hasserfüllt und gefährlich», heißt es in einer Mitteilung von Adidas vom Dienstag. Das Unternehmen dulde keinen Antisemitismus und auch keine andere Art von Hassrede.
Adidas teilte weiter mit, dass das Unternehmen nach eingehender Prüfung die Entscheidung getroffen habe, die Partnerschaft mit West mit sofortiger Wirkung zu beenden, die Produktion von Produkten der Marke Yeezy einzustellen und alle Zahlungen an den Künstler und seine Unternehmen zu stoppen. Zuletzt hatte auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, die Aufkündigung des Vertrages gefordert. Nun begrüßte die Organisation die Entscheidung als «überfällig».
West war in diesem Monat sowohl von Instagram als auch von Twitter zumindest vorübergehend gesperrt worden. Auf beiden Plattformen hatte er unter anderem antisemitische Kommentare gepostet, die als Aufruf zur Tötung von Juden interpretiert wurden. Auch seine Ex-Frau Kim Kardashian hatte sich - wie zahlreiche andere US-Promis - jüngst gegen jegliche Art von Antisemitismus gewandt.
Auch Ex-Frau Kim Kardashian kritisierte Äußerungen
Kanye West ist einer der prägendsten US-Künstler der vergangenen Jahrzehnte, Millionen von Fans vergöttern ihn. Ein Mann der Metaebene oder der Ironie war er dabei nie und fand in der schillernden Reality-TV-Welt der Kardashians nie ein Zuhause. Seine Heimat ist die Musik - und wurde dann zunehmend die Mode: Einer der beliebtesten Schuhe von Yeezy in Kooperation mit Adidas sieht ein wenig so aus, als wäre er einer «Herr der Ringe»-Verfilmung als Fußbekleidung für besonders hippe Elfen entsprungen.
In seinem Debüt «The College Dropout» vermengte West 2004 Soulsamples und Gospel. Auf «Graduation» wagte er drei Jahre später den Schulterschluss mit Pop, House und Indierock. Mit «808s & Heartbreak» etablierte er 2008 den bis heute omnipräsenten Auto-Tune-Effekt. Auf seinem Album «Ye» von 2018 setzte West sich schließlich intensiv mit seiner bipolaren Störung auseinander, über deren Schübe er auch mit US-Talker David Letterman sprach. Bei einer bipolaren Störung kommt es zu extremen Schwankungen unter anderem der Stimmung und des Antriebs.
Trotz dieser psychischen Probleme werden Wests - umstrittene bis justiziable - Äußerungen immer wieder öffentlich diskutiert. So zum Beispiel nächtliche Twitter-Tiraden gegen Kim Kardashian, der er Untreue vorwarf. Dann sorgte West 2020 mit einer - schon wegen nicht eingehaltener Regularien - aussichtslosen Bewerbung für das US-Präsidentenamt für Aufsehen. In schusssicherer Weste hielt der Rapper damals einen ausschweifenden egozentrischen Monolog, bei dem er schließlich in Tränen ausbrach. West gilt eigentlich als Unterstützer des ehemaligen Präsidenten Donald Trump.
Bis zu 250 Millionen weniger Gewinn
Zuletzt provozierte der 45-Jährige dabei nicht nur mit seinen antisemitischen Äußerungen, sondern auch mit einem Slogan gegen die «Black Lives Matter»-Bürgerrechtsbewegung in den USA. Anfang Oktober hatte er bei der Pariser Modewoche mit dem T-Shirt-Aufdruck «White Lives Matter» für wütende Reaktionen gesorgt. Antirassismus-Organisationen stufen den Satz als rassistische Reaktion auf «Black Lives Matter» ein, die sich gegen Gewalt gegen Schwarze einsetzt. Immer wieder versteigt West sich auch in Verschwörungstheorien.
Die Zusammenarbeit mit einem Künstler wie Kanye West dürfte für Adidas immer eine besondere Herausforderung gewesen sein - für die Franken war es zudem aber vor allem ein einträgliches Geschäft. Die Auflösung des Vertrags dürfte die Firma wirtschaftlich nun empfindlich treffen. «Angesichts der starken Saisonalität des vierten Quartals dürfte sich dies kurzfristig mit bis zu 250 Millionen Euro negativ auf den Nettogewinn des Unternehmens im Jahr 2022 auswirken», teilte Adidas dazu mit.
Adidas sei der alleinige Inhaber aller Designrechte an bestehenden Produkten sowie an früheren und neuen Farbgebungen im Rahmen der Partnerschaft. Weitere Informationen sollen bei der bevorstehenden Bekanntgabe der Ergebnisse zum dritten Quartal des Konzerns am 9. November 2022 folgen. West hatte dem Unternehmen unter anderem auch Ideenklau vorgeworfen.
Suche nach neuem Konzernchef läuft
Adidas arbeitete seit 2013 mit Kanye West zusammen, seit 2016 hat die Partnerschaft eine neue Grundlage erhalten. Damals nannte Adidas die Zusammenarbeit «die bedeutendste Partnerschaft aller Zeiten» zwischen einem Sportartikelhersteller und einer Persönlichkeit jenseits des Sports. «Kanye ist ein echter Creator, der Dinge sieht, die andere nicht sehen», hatte das damalige Adidas-Vorstandsmitglied Eric Liedtke sich zitieren lassen.
Der Umsatz mit den stylischen Schuhen, Klamotten und Accessoires soll 1,7 Milliarden Euro betragen haben - immerhin rund sieben Prozent des Gesamtumsatzes der Drei-Streifen-Marke. Von Adidas wird das nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert. Adidas steht ohnehin, vor allem wegen des stotternden China-Geschäfts, vor einem großen Haufen Probleme. Konzernchef Kasper Rorsted ist nur noch auf Abruf im Amt - Adidas sucht einen Nachfolger für den zuletzt in die Kritik geratenen Dänen.
Grundsätzlich versucht die Sportartikelindustrie seit Jahren, zugkräftige Idole nicht nur im Sport als Partner zu gewinnen. Für den Adidas-Lokalrivalen Puma ist etwa die Sängerin Danna Paola am Start, für den US-Branchenprimus Nike ging 2020 der Rapper Drake an den Start.
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