DÜSSELDORF (dpa-AFX) - In der deutschen Stahlindustrie sind erstmals Arbeitszeit-Regelungen für den bevorstehenden Umbau Richtung Klimaneutralität vereinbart worden. Die Regeln sind Bestandteil eines Tarifabschlusses von IG Metall und Arbeitgeberverband Stahl für die nordwestdeutsche Stahlindustrie, auf den sich die Tarifparteien am Samstagmorgen in Düsseldorf geeinigt haben.

Die Tarifeinigung enthält neben 3000 Euro Inflationsausgleichsprämie und einer Lohnerhöhung um 5,5 Prozent ab 2025 auch einen Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung. Er soll zur Anwendung kommen, wenn durch die vielfach geplante Transformation weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Dies gilt zum Beispiel für Kokereien, deren Koks eines Tages in mit Wasserstoff betriebenen Anlagen zur Stahlherstellung nicht mehr gebraucht wird.

Die Einigung kam in der 5. Verhandlungsrunde nach einem rund 14-stündigen Verhandlungsmarathon in Düsseldorf zustande. Sie gilt als Pilotabschluss für die anderen Tarifbezirke der Stahlindustrie.

32-Stunden-Woche ohne vollen Lohnausgleich möglich

Die Einigung sieht zum einen Regelungen für Betriebe oder Betriebsteile vor, in denen durch die Transformation "Druck auf die Beschäftigung" entsteht. Dann kann ausgehend von der in der Branche gültigen Regelarbeitszeit von 35 Stunden die Arbeitszeit um drei Stunden auf 32 Stunden abgesenkt werden. Die IG Metall konnte ihre Forderung nach einem vollen Lohnausgleich dabei nicht durchsetzen, aber eine Bezahlung von dann 33 Stunden erreichen.

Der Tarifvertrag sieht dabei auch Regelungen bei einem Mehrbedarf vor, etwa wegen eines zeitweisen Parallelbetriebs von alten und neuen Technologien. Dann kann die Arbeitszeit auch um bis zu drei Stunden erhöht werden. Angewendet wird dann die jetzt schon geltende Regelung zur Mehrarbeitsvergütung.

Auch 33,6-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich möglich

Die Einigung sieht zum anderen in allen Betrieben die Möglichkeit vor, die individuelle Arbeitszeit von 35 auf 33,6 Stunden abzusenken, allerdings ohne Lohnausgleich und nur, wenn keine betrieblichen Gründe entgegenstehen. Nur wer 60 Jahre und älter ist und im Schichtdienst arbeitet, soll ab 2025 dann 34,1 Stunden bezahlt bekommen. Diese Altersgrenze soll in den beiden Folgejahren jeweils um ein Jahr abgesenkt werden. 2027 wollen die Tarifparteien die Regelung dann bewerten.

IG Metall-Verhandlungsführer Knut Giesler äußerte sich zufrieden mit dem Ergebnis. Es sei ein wichtigstes Ziel erreicht worden. "Wir geben den Beschäftigten in der Transformation Sicherheit. Kommt es zum Druck auf Beschäftigung, kann durch die Arbeitszeitverkürzung bei Teilentgeltausgleich die noch vorhandene Arbeit auf mehrere Schultern verteilt werden." Beim individuellen Wunsch nach Verkürzung der Arbeitszeit sei ein Einstieg geschafft.

Die Arbeitgeber bewerteten die Regelungen als "sehr positiv". Es sei gemeinsam mit der IG Metall gelungen, eine passgenaue Regelung zur Arbeitszeit und zur Beschäftigungssicherung während der ökologischen Transformation zu schaffen, betonte der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands Stahl, Reiner Blaschek. Die Regelung zur individuellen Arbeitszeit eröffne den Beschäftigten mehr Flexibilität. "Wichtig war uns, dass hierfür im Regelfall kein Entgeltausgleich gezahlt wird."

Ausgleichsprämie wird gestaffelt gezahlt

Die Ausgleichsprämie wird gestaffelt gezahlt: 1500 Euro soll es im Januar geben, jeweils 150 Euro dann in den Monaten Februar bis November. Auszubildende erhalten insgesamt 1800 Euro, ebenfalls gestaffelt. Nach der Anhebung der Gehälter ab Januar 2025 läuft der Gehaltstarifvertrag bis zum 30. September 2025. Die Gewerkschaft war ursprünglich mit einer Forderung nach einem Lohnplus von 8,5 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten in die Verhandlungen gegangen.

Die Arbeitgeber äußerten sich dennoch skeptisch: "Die vereinbarte Entgelterhöhung strapaziert angesichts der sich rapide verschlechternden Rahmenbedingungen für die deutsche Stahlindustrie die Möglichkeiten der Unternehmen maximal", so Blaschek. Giesler, der auch Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen ist, sprach hingegen von einer "nachhaltigen Steigerung der Einkommen".

Warnstreiks mit Zehntausenden Beschäftigten

Die Friedenspflicht war Ende November geendet. Seitdem hatten sich mehrere zehntausend Stahlarbeiter an mehrstündigen Warnstreiks beteiligt. In den vergangenen Tagen hatte die Gewerkschaft dabei zu 24-Stunden-Warnstreiks aufgerufen, unter anderem in Duisburg, dem größten Stahlstandort Europas.

In der Stahl- und Eisenindustrie in Nordrhein-Westfalen, Bremen und Niedersachsen sind rund 68 000 Menschen beschäftigt. In der ostdeutschen Stahlindustrie mit ihren rund 8000 Beschäftigten ist die 5. Verhandlungsrunde für den 18. Dezember angesetzt.

In der saarländischen Stahlindustrie mit ihren rund 15 000 Beschäftigten haben die Tarifverhandlungen noch nicht begonnen. Dort endet die Friedenspflicht Ende Februar. Das Tarifgebiet umfasst neben dem Saarland auch zwei Werke in Wetzlar (Hessen) und Kehl (Baden-Württemberg)./tob/DP/he