BERLIN (dpa-AFX) - Wirtschaftsverbände, die Chemie-Gewerkschaft IGBCE und Bundesländer haben sich enttäuscht über Ergebnisse eines "Chemiegipfels" mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gezeigt. Markus Steilemann, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie, sagte nach dem Treffen am Mittwoch in Berlin, das dringlichste Thema, ein "Brückenstrompreis" zur Verringerung der hohen Energiekosten, habe nicht adressiert werden können.

Der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis sagte, über die Frage eines Brückenstrompreises müsse schnell entschieden werden. "Wir haben erste Signale dafür, dass die Situation auch Beschäftigung kosten wird und dass es zu Betriebsschließungen kommen kann, zu Verlagerungen." Die deutsche Chemieindustrie hatte aus Kostengründen ihre Produktion im zweiten Quartal weiter gedrosselt.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte: "Es ist 5 vor 12 in Deutschland." Er könne nachvollziehen, warum Unternehmensvertreter und Gewerkschafter enttäuscht seien vom Ergebnis des Treffens. Bei der Bundesregierung sei Problembewusstsein klar erkennbar gewesen. "Aber es ist eben nicht zu der Konkretisierung der Problemlösung gekommen, die der Lage angemessen gewesen wäre." Man wolle den Dialog fortsetzen und an einem "Chemie-Pakt" arbeiten. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte: "Das war heute noch nicht der sicherlich von manchen erhoffte Durchbruch in der Frage Wie geht es weiter bei den Energiepreisen?"

Wüst und Weil fordern wie die anderen Länder-Regierungschefs sowie die Chemie-Industrie und die Gewerkschaft einen temporär begrenzten, staatlich subventionierten und milliardenschweren Industriestrompreis ("Brückenstrompreis"). Die Wirtschaft warnt vor einer Abwanderung von Unternehmen ins Ausland, weil Strompreise etwa in den USA und China deutlich niedriger sind.

Die Grünen und die SPD-Fraktion sind für einen Industriestrompreis, Scholz ist skeptisch, die FDP ist dagegen. Die FDP will eine Senkung der Stromsteuer. Vassiliadis sagte, es habe von Scholz keine Absage an einen "Brückenstrompreis" gegeben, aber auch keine Zusage.

Die Bundesregierung erklärte, sich der Bedeutung wettbewerbsfähiger Strom- und Energiepreise auch für die chemische Industrie bewusst zu sein. "Sie befindet sich in Gesprächen mit dem Parlament über Vorschläge, wie die Stromversorgung so ausgestaltet werden kann, dass Strompreise stabilisiert werden können und damit Planungssicherheit verbessert werden kann", hieß es mit Blick auf Beratungen der Koalitionsfraktionen.

Steilemann sagte mit Blick auf den Industriestrompreis, wenn es dazu keine kurzfristigen Lösungen gebe, müsse man sich über zukünftige Themen keine Gedanken mehr machen. "So dramatisch möchte ich es einmal formulieren." Nun würden Entscheidungen für Investitionen getroffen. "Wir werden in einigen Jahren dann ganz böse aufwachen, wenn diese Investitionen nicht getätigt wurden, weil es heute diese Soforthilfe für die Industrie nicht gegeben hat."

FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Wir teilen die Analyse, dass die Stromkosten für die Industrie zu hoch sind und diskutieren derzeit in der Koalition konstruktiv und sachlich über die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten. Am Ende geht es uns allen darum, gemeinsam zu einen guten und tragfähigen Ergebnis zu kommen, das seine gewünschte Wirkung dann auch entfaltet." Für die FDP-Fraktion sei klar, dass man eine europarechtlich und ordnungspolitisch saubere Lösung brauche, die auch den Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen gerecht werde./hoe/DP/men