PORT-AU-PRINCE/BERLIN (dpa-AFX) - Knapp 830 Millionen Menschen müssen weltweit hungern. Das teilte die Welthungerhilfe am Donnerstag bei der Vorstellung des Welthunger-Index 2022 mit. Demnach machen Konflikte, die Klimakrise und die Corona-Pandemie zusammen mit strukturellen Ursachen, Fortschritte bei der Hungerbekämpfung zunichte. Der Krieg in der Ukraine habe die Lage noch einmal massiv verschärft.

Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich die Zahl der weltweit hungernden Menschen von 811 auf bis zu 828 Millionen. Unter akutem Hunger litten den Angaben zufolge 193 Millionen Menschen. Es wurden Daten bis zum Jahr 2021 ausgewertet, die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurden also statistisch noch nicht berücksichtigt. "Der Krieg in der Ukraine - mit seinen Auswirkungen auf die weltweite Versorgung mit Nahrungsmitteln, Düngemitteln, Treibstoffen und deren Preise - verwandelt eine Krise in eine Katastrophe", hieß es.

Für den Index erstellte die Welthungerhilfe eine Rangliste von 121 Ländern, basierend auf den Indikatoren Unterernährung, Kindersterblichkeit sowie Auszehrung und Wachstumsverzögerung bei Kindern. Schlusslicht war das Bürgerkriegsland Jemen, wo 41,4 Prozent der Bevölkerung unterernährt waren. In 35 Ländern wurde die Hungerlage als ernst und in 9 als sehr ernst eingestuft. Die höchsten Hungerraten herrschten in Südasien und Afrika südlich der Sahara.

In Lateinamerika und der Karibik galt das Hungerniveau insgesamt als niedrig, zu der Region gehört aber auch das Land, das Platz 116 belegt. In Haiti sind 47,2 Prozent der Bevölkerung unterernährt. In dem Karibikstaat ist die Sicherheits-, Gesundheits- und Versorgungslage so ernst, dass die Regierung die UN um Hilfe durch eine bewaffnete internationale Truppe gebeten hat.

Schon seit mehr als einem Jahr kämpfen Banden brutal um Kontrolle über Teile der Hauptstadt Port-au-Prince. Die Übergangsregierung, die nach der Ermordung des Staatspräsidenten Jovenel Moïse im Juli 2021 übernahm, kündigte vor etwa einem Monat deutliche Erhöhungen der Kraftstoffpreise an. Seitdem gibt es in verschiedenen Städten große Proteste und Plünderungen. Aus einem Lager des Welternährungsprogramms (WFP) wurden 1400 Tonnen Lebensmittel gestohlen, die 100 000 Schulkinder ernähren sollten.

In Port-au-Prince ist der Zugang zum wichtigsten Treibstofflager blockiert. Mit Straßensperren legten Banditen den Verkehr zu einem großen Teil lahm. Seit dem 12. September habe sie ihr Zuhause nur einmal verlassen, sagte die Landesdirektorin der Welthungerhilfe in Port-au-Prince, Annalisa Lombardo, der Deutschen Presse-Agentur.

Durch die Blockade ist Treibstoff knapp, wird auf dem Schwarzmarkt zu astronomischen Preisen verkauft. Geschäfte bleiben geschlossen; Behörden, Banken, Schulen und Krankenhäuser können nicht normal arbeiten. Auch die Grundversorgung etwa mit Trinkwasser ist gestört. Am 2. Oktober wurde ein Cholera-Ausbruch gemeldet.

Eine schlechte Ernte, Inflation und Getreideknappheit durch den Ukraine-Krieg verschärfen noch mehr die prekäre Ernährungssituation vieler Menschen in Haiti, wie Lombardo in einem Lagebericht schrieb. Dringende Hilfe werde durch Blockaden und Benzinmangel behindert.

In den überfüllten Gefängnissen starben nach einem UN-Bericht schon zwischen Januar und April mindestens 54 Menschen im Zusammenhang mit Unterernährung. Nach einer Mitteilung der haitianischen Behörde für Ernährungssicherheit (CNSA) vom Mittwoch benötigen in dem Karibikstaat 4,7 Millionen Menschen dringend Lebensmittelhilfen. Mit dem von Bandenkämpfen besonders betroffenen Armenviertel Cité Soleil gilt die Hungerlage demnach erstmals in einem Gebiet als "Katastrophe".

Wie im Welthunger-Index beschrieben, verschlimmern aktuelle Konflikte und Krisen in Haiti und anderswo bereits bestehende Probleme. Weltweit würden chronische Schwachstellen in den Ernährungssystemen offenbart, hieß es in dem Bericht. Die Systeme müssten gerechter, nachhaltiger und widerstandsfähiger gemacht sowie akute Notlagen durch Aufstockung finanzieller Ressourcen abgemildert werden, betonte die Welthungerhilfe. "Es ist unsere Pflicht, jetzt zu handeln."/nk/DP/ngu