MÜNCHEN (dpa-AFX) - Das jüngste Problem an den Antrieben vieler Airbus-Mittelstreckenjets macht dem Münchner Triebwerksbauer MTU trotz glänzender Geschäftszahlen zu schaffen. Wegen des Materialmangels müssten weltweit rund 1200 Turbinen überprüft werden, erklärte MTU-Chef Lars Wagner am Mittwoch in einer Telefonkonferenz zur Quartalsbilanz des Dax-Konzerns in München. MTU baut zusammen mit seinem Partner Pratt & Whitney aus den USA die Antriebe vom Typ PW1100G-JM, die etwa jeden zweiten Airbus-Jet aus der Modellfamilie A320neo antreiben. An der Börse kamen die Nachrichten schlecht an.

Der Kurs der MTU-Aktie sackte am Vormittag zeitweise um mehr als vier Prozent und damit auf den tiefsten Stand seit Anfang Januar. Um die Mittagszeit lag das Papier noch mit rund drei Prozent im Minus, gehörte damit aber weiterhin zu den größten Verlierern im Dax. Bereits am Dienstag hatte die MTU-Aktie sieben Prozent eingebüßt, nachdem Pratt & Whitneys Mutterkonzern Raytheon Technologies den Rückruf der Triebwerke öffentlich gemacht hatte.

Den beiden Herstellern zufolge sind rund 200 der Triebwerke spätestens Mitte September fällig. Die übrigen sollen laut MTU-Chef Wagner bis zum Jahr 2024 oder 2025 folgen. "Wir versuchen alles zusammen mit Pratt & Whitney, um die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten", sagte Wagner in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. So müssen die Fluggesellschaften ihre betroffenen Maschinen ausgerechnet während des Aufschwungs nach der Corona-Pandemie vorzeitig in die Wartung schicken.

Wie viele Jets wegen der Probleme am Boden bleiben müssen, wollte Wagner noch nicht prognostizieren. Zwar hat jedes der Flugzeuge zwei Triebwerke gleichen Typs. Diese stammen laut Wagner aber nicht unbedingt aus demselben Produktionszyklus, sodass an manchen Flugzeugen nur ein Triebwerk betroffen sein könnte. Dann müssten mehr als die rechnerisch fälligen 600 Airbus-Maschinen in die Werkstatt.

Ursache des Problems ist laut Wagner ein seltener Zustand eines Metallpulvers, das bei Pratt & Whitney in einem gewissen Zeitraum in Rohlinge für neue Turbinenscheiben eingeschmolzen wurde. Die betroffenen Exemplare ließen sich klar eingrenzen, erklärte der Manager. Auch sei die derzeitige Produktion neuer Triebwerke und Ersatzteile davon nicht betroffen. MTU selbst habe dieses Pulver nie verwendet.

Wie lange die Reparaturen pro Triebwerk dauern und wie viel sie kosten werden, muss sich laut Wagner erst noch herausstellen. Er hofft, dass die Arbeiten in vielen Fällen bei ohnehin anstehenden Wartungsterminen erfolgen können, sodass möglichst wenige Flugzeuge für eine zusätzliche Zeit ausfallen. Das käme auch MTU und Pratt & Whitney zugute. Denn die Reparaturen dürften nach Einschätzung beider Unternehmen kurzfristig den Barmittelfluss belasten. Die Auswirkungen auf den Gewinn von MTU in den kommenden Jahren seien aber voraussichtlich moderat, sagte Wagner.

Der Triebwerkstyp PW1100G-JM kommt etwa bei jedem zweiten Jet aus der A320neo-Familie zum Einsatz. Die übrigen sind mit Triebwerken vom Typ Leap von CFM ausgestattet, einem Gemeinschaftsunternehmen von Safran und General Electric . MTU liefert Teile für das Pratt-Triebwerk zu und baut in München etwa jedes dritte Exemplar davon zusammen.

Schon in den vergangenen Monaten hatten ein Wartungsstau und fehlende Ersatzteile viele Maschinen mit dem Pratt-Triebwerk am Boden gehalten. Während der Luftfahrtmesse in Le Bourget in Paris im Juni räumte Pratt & Whitney ein, dass etwa jedes zehnte Flugzeug mit diesem Triebwerkstyp außer Betrieb sei. Neben den Maschinen der A320neo-Familie waren davon auch die kleinsten Airbus-Typen der A220-Reihe und möglicherweise auch die E2-Jets des brasilianischen Flugzeugbauers Embraer betroffen.

Auch weil die Airbus-Mittelstreckenjets Verkaufsschlager sind, liefen die Geschäfte von MTU im zweiten Quartal glänzend. Dank einer starken Nachfrage nach neuen Antrieben, Ersatzteilen und Wartungen sprang der Umsatz im Jahresvergleich um 20 Prozent auf 1,55 Milliarden Euro nach oben, wie der Konzern am Morgen in München mitteilte.

Der um Sonderposten bereinigte operative Gewinn (bereinigtes Ebit) legte um 21 Prozent auf 193 Millionen Euro zu und traf damit in etwa die durchschnittlichen Erwartungen von Analysten. Der Überschuss legte sogar um 85 Prozent auf 122 Millionen Euro zu, nachdem MTU ein Jahr zuvor wegen einer zerschlagenen Auftragshoffnung eine millionenschwere Sonderbelastung verbucht hatte.

Vorstandschef Wagner sieht den Triebwerksbauer weiterhin auf einem guten Weg, seine Ziele für 2023 zu erreichen. Am Mittwoch bekräftigte er seine Mitte Juni angehobene Prognose: So soll der bereinigte operative Gewinn in diesem Jahr auf gut 800 Millionen Euro steigen und damit den bisherigen Rekordwert von 757 Millionen aus dem Jahr 2019 übertreffen./stw/mne/mis