DUISBURG (dpa-AFX) - Die Neuaufstellung der Stahlsparte des Industriekonzerns Thyssenkrupp ist weiter offen. Nach einer Sitzung des Kontrollgremiums warfen drei Stahlvorstände und vier Aufsichtsratsmitglieder am Donnerstag hin, darunter auch Chefaufseher Sigmar Gabriel und Stahlchef Bernhard Osburg. Am Donnerstagabend übte dann der Aufsichtsratsvorsitzende des Mutterkonzerns Thyssenkrupp, Siegfried Russwurm, massive Kritik am Management der Stahltochter. Auch äußerte sich Bundesminister Robert Habeck zu der Krise bei Deutschlands größtem Stahlerzeuger. An der Börse waren sich Anleger in ihrer Bewertung der Situation zunächst uneins.

Zu Handelsbeginn am Freitag rutschte die Aktie 1,5 Prozent ab, drehte rasch aber leicht ins Plus. Analysten rechnen damit, dass Russwurm zusammen mit Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López über die Zukunft entscheiden wird.

Thyssenkrupp-Chefaufseher Russwurm positionierte sich noch am Donnerstagabend klar: "Dem Management von Thyssenkrupp Steel ist es trotz aller anerkennenswerter Anstrengungen nicht nur in den vergangenen Monaten, sondern seit Jahren nicht gelungen, erfolgreich Antworten auf die strukturellen Herausforderungen des Stahlgeschäfts und seine betriebswirtschaftlichen Schwierigkeiten zu geben", erklärte er in einer Mitteilung. Der Manager ist auch Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

Die defizitäre Stahlsparte soll restrukturiert und verselbstständigt werden. Unter anderem über die finanzielle Ausstattung durch den Mutterkonzern auf dem Weg in die Selbstständigkeit wurde seit Wochen zwischen der Konzernführung und dem Stahl-Management erbittert gestritten.

Aktienkurs seit Jahresbeginn halbiert

Kaut Analyst Christian Obst von der Baader Bank steigt nun die Wahrscheinlichkeit für größere Veränderungen. "Mit der Entkonsolidierung von Steel Europe und Marine Systems wäre Thyssenkrupp weniger komplex und es gäbe klarere Verantwortlichkeiten", so Obst. Allerdings könnte das schwindende Vertrauen der Mitarbeiter in das Management ein Risiko in den wirtschaftlich schwierigen Zeiten darstellen, warnt der Analyst.

Obst sieht auch, dass es durchaus Argumente für eine weitere Kurstalfahrt gebe, insbesondere da das Unternehmen schon in der Vergangenheit einen negativen freien Mittelfluss gehabt habe, also Geld verbrannt habe. Im laufenden Jahr hat die Thyssenkrupp-Aktie sich nahezu halbiert.

Habeck zeigt sich beunruhigt

Am Donnerstag war bekanntgeworden, dass Stahlchef Bernhard Osburg, die Produktionsvorständin und der Personalvorstand das Unternehmen mit sofortiger Wirkung verlassen. Im Zuge dessen kündigten auch vier Steel-Aufsichtsratsmitglieder die Niederlegung ihrer Mandate an. Darunter ist auch der bisherige Vorsitzende Sigmar Gabriel. Er hatte Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López eine Diffamierungs-Kampagne gegen den Stahlvorstand vorgeworfen. Russwurm warf er indirekt Tatenlosigkeit vor.

Angesichts des offenen Schlagabtauschs im Top-Management äußerte sich auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): "Die Situation bei Thyssenkrupp hat sich auf allen Seiten sehr unversöhnlich zugespitzt. Das ist kein guter Zustand", sagte er der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Samstag). Habeck forderte, trotz aktueller Schwierigkeiten den von Bund und Land mit rund zwei Milliarden Euro subventionierten ökologischen Umbau der Stahlsparte fortzuführen.

Die Stahlsparte von Thyssenkrupp leidet seit Langem unter der Konjunkturschwäche und Billigimporten. Sie muss unter anderem deshalb Kapazitäten und damit auch Personal abbauen. Was das Stühlerücken in Vorstand und Aufsichtsrat für die Zukunft der Beschäftigten bedeutet, ist noch völlig offen. Der Aufsichtsrat hatte eigentlich einen Plan für die Finanzierung der kommenden zwei Jahre fassen wollen - doch dazu kam es nicht.

Russwurm: Steel-Management hat "falsch oder schlecht investiert"

In seiner Stellungnahme erklärte Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Russwurm, dass das Steel-Management seine eigenen Pläne immer wieder deutlich verfehlt habe. Dies gelte bislang auch für das laufende Geschäftsjahr. Vereinbarte Restrukturierungsprogramme hätten bei weitem nicht zu den vom Steel-Management in Aussicht gestellten Effekten geführt. "Thyssenkrupp Steel verbraucht laufend Liquidität zulasten seiner eigenen Zukunft, aller anderen Geschäfte und der Eigentümer des Konzerns und hat unter seiner bisherigen Führung keine Kontrolle über diese Situation gewonnen." Die drei bereits langjährig aktiven Mitglieder des Vorstands schieden vor diesem Hintergrund im gegenseitigen Einvernehmen aus dem Unternehmen aus.

Nachbesetzung der vakanten Vorstandsposten soll "zeitnah" erfolgen

Die Muttergesellschaft erklärte nach den Rücktritten, dass die verbliebenen Vorstandsmitglieder Dennis Grimm (Technik) und Philipp Conze (Finanzen) die Geschäfte des Stahlsegments weiterführen würden. "Die Nachbesetzung der vakanten Positionen wird in einem strukturierten Prozess zeitnah erfolgen", hieß es. Die vakanten Ressorts werden in der Zwischenzeit aufgeteilt. Grimm übernehme die Funktion des Vorstandssprechers. Über die Nachbesetzung der vakanten Aufsichtsratssitze sowie über die Nachfolge von Sigmar Gabriel als Vorsitzendem des Aufsichtsrats solle kurzfristig entschieden werden.

Die Thyssenkrupp-Stahlsparte ist Deutschlands größter Stahlerzeuger. 27.000 Menschen sind dort beschäftigt, allein 13.000 davon arbeiten in Duisburg. Der Betriebsrat befürchtet im Zuge der Restrukturierung eine "Halbierung der Hütte" und den Abbau Tausender Arbeitsplätze./tob/lew/nas/stk