MÜNCHEN (dpa-AFX) - Der Windturbinenbauer Siemens Gamesa bleibt das Sorgenkind des Energietechnikkonzerns Siemens Energy . Der Konzern zog wegen anhaltender Probleme bei der Tochter nun seine Ergebnisprognose für das Geschäftsjahr 2022/23 zurück. So führen anhaltende Qualitätsprobleme im Landturbinengeschäft zu milliardenschweren und damit deutlich höheren Kosten als gedacht. Zudem kommt Gamesa bei der geplanten Produktivitätssteigerung nicht so voran, wie gedacht. Die Überwindung der Krise und damit die Rückkehr in die schwarzen Zahlen wird sich länger hinziehen als angenommen. Die im Dax notierte Siemens-Energy-Aktie stürzte ab.

Erst im Mai hatte das Management von Siemens Energy um Konzernchef Christian Bruch zum zweiten Mal in diesem Geschäftsjahr die Ergebnisprognose wegen der Schwäche im Windgeschäft gesenkt und hatte höhere Verluste in Aussicht gestellt. Es war nicht die erste Gewinnwarnung: Bereits mehrfach hat Siemens Gamesa den Münchnern in den vergangenen Jahren inzwischen schon die Planungen verhagelt. Um die seit Jahren anhaltenden Probleme bei Gamesa besser angehen zu können, hatte Siemens Energy im Februar die zuvor in Spanien an der Börse notierte Tochter vollständig übernommen.

An der Börse führten die erneuten Hiobsbotschaften zu einem massiven Kurseinbruch. Die im Dax notierte Aktie verlor am Freitag zum Auftakt bis zu 36 Prozent. Von diesem Absturz konnte sich das Papier am Vormittag kaum erholen. Circa eineinhalb Stunden nach Handelsstart gab der Kurs im Vergleich zum Donnerstag-Schlusskurs etwas mehr als 30 Prozent auf 16 Euro ab. Damit wurde der jüngste Erholungskurs abrupt unterbrochen.

Die Siemens-Energy-Aktie war vom Rekordtief von etwas mehr als 10 Euro im Oktober 2022 wieder bis auf fast 25 Euro Ende Mai gestiegen. Im Juni war der Kurs bereits wieder etwas gebröckelt, bevor die zurückgezogene Prognose nun für das Abrutschen auf das Niveau von Ende 2022 führte.

Ein Kurseinbruch von mehr als 30 Prozent kommt bei einem Dax-Wert sehr selten vor. In der Geschichte gab es allerdings ein paar Titel wie die des 2020 gestürzten Zahlungsabwicklers Wirecard oder der in der Finanzkrise verstaatlichten Hypo Real Estate, die noch mehr verloren haben. Umgerechnet in Börsenwert bedeutet der Absturz um etwas mehr als 30 Prozent ein Minus von rund sechs Milliarden Euro.

Betroffen von dem immensen Kursverlust ist auch die frühere Mutter Siemens , die noch etwas mehr als 30 Prozent der Anteile hält. Die Anteile des Dax-Schwergewichts verloren im Vormittagshandel rund zwei Prozent. Händler bemängelten bei Siemens Energy eine "totale Unsicherheit" angesichts der immer stärker ins Licht rückenden Schwierigkeiten des Windturbinenbauers.

Konzernchef Bruch räumte in einer Telefonkonferenz am Freitag ein, das Ausmaß der Probleme so nicht erwartet zu haben. Bei der Übernahme des Chefpostens bei der Ausgliederung von Siemens Energy aus dem Siemens-Konzern im Jahr 2021 habe er gedacht, Gamesa sei das kleinere Problem, erklärte er mit Blick auf das damals sanierungsbedürftige Gasturbinengeschäft.

Er sprach von Kulturproblemen innerhalb von Siemens Gamesa. Das betreffe insbesondere die Art, Probleme anzugehen. Das gehe so nicht, stellte er fest. Die Komplettübernahme hält er trotzdem nicht für einen Fehler. "Ich glaube an ein positives Windgeschäft".

Siemens Energy hatte am Donnerstagabend mitgeteilt, dass es deutlich erhöhte Ausfallraten bei Windturbinen-Komponenten in der Bestandsflotte bei Landanlagen (Onshore) gegeben habe. Gamesa-Chef Jochen Eickholt benannte in einer Telefonkonferenz am Freitag als Problemfelder vor allem Rotorblätter und Lager. Eine technische Überprüfung lege nahe, dass eine Behebung der Probleme bei bestimmten Onshore-Plattformen deutlich mehr koste als bislang angenommen.

Siemens Energy geht derzeit von zusätzlichen Reparaturkosten von voraussichtlich über einer Milliarde Euro aus. Im Januar waren die Kosten noch mit 472 Millionen Euro beziffert worden. Die Überprüfung ist dabei noch nicht abgeschlossen. Eine "abschließende Bewertung" gebe es noch nicht, so Eickholt, der von einem "ernstzunehmenden, herben Rückschlag" sprach.

Darüber hinaus sehe Siemens Energy weiterhin Schwierigkeiten beim Hochlauf der Fertigungskapazitäten im renditeträchtigen Offshore-Bereich. So käme es zu Verzögerungen, Lieferproblemen bei Teilen und Engpässen beim Personal.

Doch das ist nicht alles. Geplante Verbesserungen der Produktivität bei dem Windanlagenbauer träten zudem nicht in dem bisher erwarteten Umfang ein, hieß es von Siemens Energy weiter. Deswegen würde das Unternehmen jetzt die wesentlichen Annahmen, die den Geschäftsplänen von Gamesa zugrunde lägen, überprüfen. Eickholt nannte als ein Beispiel höhere Materialkosten als veranschlagt. Der Manager geht nun davon aus, dass der Turnaround des Unternehmens insgesamt länger dauern wird als angenommen. Die Lage sei insgesamt schlechter, als er es für möglich gehalten habe.

Der Energietechnikkonzern hatte erst Mitte Mai bei der Vorlage der Halbjahreszahlen höhere Verluste in Aussicht gestellt und erklärt, dass der Konzernfehlbetrag nach Steuern 2022/23 (per Ende September) wegen der Probleme bei Gamesa das Vorjahresniveau von 712 Millionen Euro um bis zu einem niedrigen dreistelligen Millionen-Betrag übersteigen dürfte. Die bereinigte operative Marge sollte im unteren Bereich der angepeilten ein bis drei Prozent liegen.

Siemens Energy erklärte jetzt, dass eine genaue Einschätzung der möglichen finanziellen Auswirkungen derzeit noch nicht möglich sei. Weitere Details will das Unternehmen bei der Vorlage der Zahlen zum dritten Quartal des Geschäftsjahres am 7. August nennen.

Die Umsatzprognose für den Konzern sowie sämtliche Annahmen für Gas Services, Grid Technologies und Transformation of Industry halte das Unternehmen hingegen aufrecht, hatte es am Vorabend geheißen. Beim Konzernumsatz geht das Unternehmen von einem vergleichbaren Umsatzwachstum von zehn bis zwölf Prozent aus. Dabei ausgeklammert sind Währungs- und Portfolioeffekte.

Siemens Energy hatte im Februar Gamesa vollständig übernommen. Der Windturbinenbauer kämpft seit längerem mit Problemen und schreibt rote Zahlen. Die Münchner erhoffen sich nach der Übernahme einen besseren Durchgriff bei dem Windkraft-Anlagenbauer, der in den letzten Jahren nach dem Auftauchen immer neuer Probleme mehrfach seine Ziele verfehlt hatte.

Der von Energy entsandte Gamesa-Chef Eickholt hat dem Konzern ein weitreichendes Sanierungsprogramm verpasst, welches das Unternehmen stabilisieren und wieder profitabel machen soll./nas/zb/tih