HAMBURG (dpa-AFX) - Der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) hat den Bund und die Europäische Union aufgefordert, endlich die zahlreichen Hindernisse für die maritime Industrie aus dem Weg zu räumen. Die Zutaten für ein nachhaltiges Wachstum - der Bedarf, innovative Ideen und das Wissen - seien in Deutschland und Europa vorhanden, sagte VSM-Präsident Harald Fassmer am Dienstag in Hamburg. "Jetzt fehlen nur noch der politische Mut und der Wille, die ausgetretenen Pfade zu verlassen."

Sorge bereite etwa der Auftragseingang beim Neubau von zivilen Schiffen, sagte VSM-Hauptgeschäftsführer Reinhard Lüken. So sei der Bestand in Deutschland Ende vergangenen Jahres bei den knapp 40 Werften mit 46 Schiffen im Wert von knapp elf Milliarden Euro auf den niedrigsten Stand seit sieben Jahren gefallen. In den Vor-Corona-Jahren sei Europa dagegen noch gut aufgestellt gewesen. Doch das habe sich radikal geändert.

"Im Moment sind nur noch zwei Nationen wirklich dominant im zivilen Schiffbau: China und Südkorea", sagte Lüken. Und sollte den Koreanern, die ihren Schiffbau massiv subventionierten, irgendwann die Luft ausgehen, "dann haben wir eine komplette Abhängigkeit von China". Bezogen auf die Tonnage lag der Marktanteil Chinas im vergangenen Jahr laut Lüken bei 45 Prozent, der Südkoreas bei 37 Prozent, in diesem Jahr sei China bereits bei 53 Prozent.

Der Personalchef von Thyssenkrupp Marine Systems, Bernd Hartmann, beklagte, dass von dem 100-Milliarden-Euro-Programm für die Bundeswehr bei der Marine kaum etwas angekommen sei. Der Zustand von Bundeswehr und Marine sei nicht erfreulich. Dennoch habe bisher so gut wie nichts von den 100 Milliarden Euro den Marineschiffbau erreicht.

Ähnlich sei es beim Zwei-Prozent-Ziel bei den Rüstungsausgaben. "Auch da ist nicht klar, wie sich das insbesondere die nächsten Jahre entwickeln wird", sagte Hartmann. Das Ganze sei ja mit dem Bau neuer Marineschiffe nicht getan. Instandhaltung, Service und Munition kosteten auch Geld.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 in einer Regierungserklärung eine Zeitenwende verkündet. Dazu zählten Waffenlieferungen an die Ukraine, ein 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr und ein Umdenken in der Energiepolitik.

Ärgerlich zeigte sich Hartmann auch beim Thema Export von Rüstungsgütern. Die Branche akzeptiere ohne wenn und aber, wenn die Politik bestimmte Länder von einer Belieferung ausschließe. Nicht gut sei es jedoch, wenn Entscheidungen einfach gar nicht getroffen würden. "Das ist, ehrlich gesagt, schlecht fürs Geschäft." Welche Entscheidungen und Länder Hartmann konkret meinte, sagte er nicht.

Schiffbau finde nicht nur in Werften statt, betonte VSM-Vize Klaus Deleroi. Allein in Deutschland gebe es rund 2000 Zulieferbetriebe, viele davon in Bayern und Baden-Württemberg. Damit das so bleibe, müsse Europa ein gesunder Heimatmarkt sein. "Wir haben schon Sorge, dass der ganze Werftenstandort der EU langsam runtergeht", sagte Deleroi.

Aus seiner Sicht liegt eine große Chance in der Modernisierung der europäischen Flotte. Allein auf klimafreundliche Treibstoffe zu warten, werde nicht reichen. Sinnvoll wäre, Reeder darin zu unterstützen, ihre Schiffe in Richtung Klimaneutralität umzurüsten. Bislang werde zu sehr auf den Anschaffungspreis der Schiffe geschaut statt auch den Betrieb im Blick zu haben.

Lüken wies darauf hin, dass die Energiekosten für die Schifffahrt massiv um das sechs- bis achtfache steigen würden. "Wer heute maximal energieeffizient aufgestellt ist, gewinnt morgen." Das sei ein riesen Markt. So gebe es in Europa rund 10 000 See- und etwa 15 000 Binnenschiffe, "die wir im Prinzip komplett ersetzen müssen"./klm/DP/zb