KOUROU (dpa-AFX) - Kurz vor dem geplanten Erstflug der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 zeigt sich der Chef der europäischen Raumfahrtbehörde Esa zuversichtlich. "Die Ariane 6 wird Europa ins All bringen", erklärte Josef Aschbacher am Dienstag im Kurznachrichtendienst X. "Ich empfinde alle möglichen Gefühle, während wir uns darauf vorbereiten, die europäische Geschichte, die Zukunft Europas und Generationen von Europäern zu beeinflussen."

Auf ihren Erststart musste die neue europäische Trägerrakete zehn Jahre lang warten. Am Dienstag ab 21.00 Uhr deutscher Zeit soll der Jungfernflug vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana versucht werden. Damit hatte die Esa den frühesten Starttermin kurzfristig um eine Stunde nach hinten geschoben. Das Startzeitfenster hatte sie ursprünglich mit 20.00 bis 24.00 Uhr angegeben.

Mit der Ariane 6 sind viele Hoffnungen verbunden: Sie soll Europas Raumfahrt aus der Krise seines Trägerraketensektors befreien. Aktuell hat Europa keine eigenen Mittel, um Satelliten ins All zu bringen.

Bisschen Regen kann die Rakete nicht stoppen

Das Wetter sah am Starttag vielversprechend aus. Es könne zwar regnen, aber das mache nichts, erklärte die Esa. Das mobile Arbeitsgerüst, das lange Zeit um die Ariane 6 herum stand, wurde weggezogen, um die Rakete freizulegen. Das Gerüstgebäude ist 90 Meter hoch und 8200 Tonnen schwer. Es wurde auf Schienen rund 140 Meter weit weggerollt.

Der Raumtransportdirektor der Esa Toni Tolker-Nielsen war ziemlich sicher, dass alles klappt. Er sei zu 96 Prozent zuversichtlich und zu 4 Prozent zutiefst verängstigt, sagte er. "Wir haben alles getan, was getan werden musste. Jetzt müssen wir starten."

Hebt sie ab, hat die 56 Meter hohe und 540 Tonnen schwere Rakete einen knapp dreistündigen Flug vor sich. An Bord sind dabei auch technische Passagiere aus Deutschland: Die Ariane nimmt unter anderem die Raumkapsel Nyx Bikini von The Exploration Company sowie die Satelliten OOV-Cube von RapidCubes und Curium One von Planetary Transportation Systems mit ins All.

Eine Rakete ist nur ein Schritt von vielen

Sollte bei dem Jungfernflug alles gut gehen, werde man das Comeback begonnen haben, meinte Tolker-Nielsen. Nötig sei es dann aber, die Produktionskapazitäten hochzufahren und zu einem stabilen Startrhythmus zu kommen. Auch Aschbacher erklärte: "Dies ist nur der erste Schritt, wir haben noch viel Arbeit vor uns."

Der Raketenbauer ArianeGroup sieht auch eine Chance, mehr über die Rakete zu lernen. Franck Huiban, Leiter der zivilen Programme bei ArianeGroup, sagte: "Der Erstflug ist eine einzigartige Möglichkeit zu schauen, was wir mit dieser Rakete machen können."

Anders als mit einem kommerziellen Kunden könne man nun testen und Dinge herausfinden, die man am Boden nicht absehen könne. Die Mission sei entsprechend zusammengestellt worden.

Die Ariane 6: eine moderne Rakete?

Die Ariane 6 ist das Nachfolgemodell der Ariane 5, die von 1996 bis Sommer 2023 im Einsatz war. Sie soll Satelliten für kommerzielle und öffentliche Auftraggeber ins All befördern und ist deutlich günstiger als ihre Vorgängerin.

Beschlossen wurde die Entwicklung der Rakete bereits vor einem Jahrzehnt. Esa-Chef Aschbacher ist überzeugt, dass die Rakete dennoch den aktuellen Herausforderungen entspricht. Die Esa preist die Ariane 6 als modular und flexibel an. Je nach Mission kann sie mit zwei oder vier Boostern ausgestattet werden und unterschiedliche Nutzlasten in einem kleineren oder längeren Oberteil unterbringen.

Deutschland leistet wichtigen Beitrag zur Ariane 6

Auch Deutschland trägt dem Generaldirektor der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt Walther Pelzer zufolge entscheidend zu den Neuerungen der Rakete bei. "Bei der Ariane 6 hat Deutschland mit der wiederzündbaren Oberstufe die wichtigste Innovation verantwortet sowie in Deutschland gefertigt."

Der Vorteil des bis zu viermal zündbaren Vinci-Triebwerks der Oberstufe ist, dass die Rakete so Satelliten in unterschiedliche Orbits ausliefern und auch Konstellationen in den Weltraum bringen kann.

Vier deutsche Standorte arbeiten an neuer Rakete

Montiert wird die Oberstufe im Bremer Werk des Raumfahrtkonzerns ArianeGroup. Die Tanks der Oberstufe und Teile des Triebwerks kommen aus Augsburg beziehungsweise Ottobrunn. Im baden-württembergischen Lampoldshausen wurde das Vinci-Treibwerk getestet.

Auch finanziell ist Deutschland bei der Ariane 6 stark engagiert und nach Frankreich der größte Geldgeber unter den Esa-Ländern. Die Bundesrepublik hat etwa 20 Prozent der rund vier Milliarden Euro hohen Kosten der Rakete geschultert. Insgesamt waren gut ein Dutzend Länder am Bau der Rakete beteiligt.

Experte: Ariane 6 nicht auf Höhe der Zeit

Raumfahrtexperte Martin Tajmar von der TU Dresden meint allerdings trotz der Neuerungen im Vergleich zur Vorgängerin der Ariane 6, die Rakete sei keinesfalls auf der Höhe der Zeit. Bereits 2015 habe das US-Unternehmen SpaceX mit der Falcon-9-Rakete das Zeitalter der wiederverwendbaren Raumfahrt eingeleitet.

Esa-Raumtransportdirektor Toni Tolker-Nielsen stellt zumindest in Aussicht: "Die nächste Rakete, die die Ariane 6 ersetzen wird, wird eine wiederverwendbare Rakete sein." Derzeit plant die Esa, ihre neue Trägerrakete mindestens bis Mitte der 2030er Jahre zu nutzen.

Europa will aus der Krise kommen

Raumfahrtexperte Tajmar betont aber auch, es gehe im Kern nicht darum, kommerziell mit den Konkurrenten mithalten zu können. Die zentrale Aufgabe der Ariane 6 sieht er erst einmal darin, Europa wieder einen eigenen Zugang zum All zu verschaffen und so die Unabhängigkeit zu sichern.

Die letzte Ariane 5 hob vor fast genau einem Jahr das letzte Mal in den Weltraum ab. Seitdem hat Europa keine eigenen Mittel mehr, um größere Satelliten ins All zu bringen und steckt mit seinem Trägerraketensektor in einer tiefen Krise. Teils wich die Esa auf Falcon-9-Raketen des US-Unternehmens SpaceX aus.

Probleme auch bei Rakete für kleinere Satelliten

Die Krise ist für Europa umso verheerender, als es auch für kleinere Satelliten aktuell keinen eigenen Zugang zum All gibt. Im Dezember 2022 scheiterte der erste kommerzielle Start der Vega C. Seitdem ist die Rakete am Boden. Im November soll sie erstmals wieder abheben.

Pelzer zufolge ist der Erststart deshalb sowohl strategisch als auch industriepolitisch sehr wichtig für Europa und Deutschland. Und während es vom Raketenbauer ArianeGroup vorsichtig heißt, der Jungfernflug sei im Grunde auch der ultimative Testflug, ist Tolker-Nielsen von der Esa sich sicher: "Es wurde alles getan, damit es ein Erfolg wird. Wenn es scheitert, wäre das wirklich schlimm."/rbo/DP/men