MÜNCHEN (dpa-AFX) - Der Technologiekonzern Siemens will sein Software-Geschäft mit einer milliardenschweren Übernahme in den USA stärken. Dabei zahlen die Münchner für das Unternehmen Altair Engineering einen hohen Preis: 113 US-Dollar je Aktie berappt der Dax-Konzern für das Unternehmen mit einem erwarteten Jahresumsatz von rund 650 Millionen Dollar für 2024. Dies entspricht einem Unternehmenswert von ungefähr 10 Milliarden Dollar (rund 9,25 Mrd EUR), wie Siemens am Mittwoch nach US-Börsenschluss mitteilte.

Der US-Konzern bietet Industrie-Software für Unternehmen etwa in der Luftfahrt-, Automobil- und Energiebranche sowie im Bereich Finanzdienstleistungen an. Die Nachfrage dürfte den Erwartungen zufolge im Gleichklang mit der zunehmenden Verbreitung von Künstlicher Intelligenz (KI) im Alltag steigen.

Der Altair-Kauf sei teuer, aber er sei es wert, schrieb Bernstein-Analyst Nicholas Green in einer ersten Reaktion. Simon Toennessen vom Investmenthaus Jefferies wertete den Deal als "aus industrieller Sicht sehr sinnvoll". Er würde das Angebot des Technologiekonzerns im wachsenden Simulationsmarkt stärken, der durch zunehmende Kenntnisse in den Bereichen KI und Hochleistungsrechnen angetrieben werde.

Toennessen zeigt sich überrascht vom hohen Synergiepotenzial, auch wenn der Kaufpreis hoch erscheine. RBC-Experte Mark Fielding erläuterte dazu, die Übernahme liege im Rahmen der bilanziellen Möglichkeiten des Technologiekonzerns. Die Siemens-Aktie verlor zunächst rund ein Prozent, konnte das Minus jedoch bis zum frühen Nachmittag fast vollständig aufholen.

Für Siemens selbst ist es der bislang größte Zukauf. Für den Öl- und Gasausrüster Dresser-Rand hatte der Konzern 2015 rund 7,6 Milliarden Dollar inklusive Schulden gezahlt. Die Tochter Siemens Healthineers hat mit dem Krebsspezialisten Varian für 16,4 Milliarden Dollar eine größere Akquisition im Konzern-Verbund gestemmt.

"Die Akquisition von Altair ist ein bedeutender Meilenstein für Siemens. Diese strategische Investition steht im Einklang mit unserem Engagement, die digitale und nachhaltige Transformation unserer Kunden durch die Verbindung der realen und digitalen Welt zu beschleunigen", kommentierte Siemens-Chef Roland Busch. So entstünde durch die Übernahme "das weltweit umfassendste KI-gestützte Design- und Simulationsportfolio".

Das Münchener Traditionsunternehmen konzentriert sich nach dem Börsengang der Medizintechniktochter Siemens Healthineers und der Abspaltung des Energietechnikkonzerns Siemens Energy zunehmend auf seine Digitalisierungsgeschäfte und trennt sich von Randbereichen. Dieses Jahr verkaufte Siemens etwa Innomotics für 3,5 Milliarden Euro, am Donnerstag kündigte das Unternehmen zudem den Verkauf der Flughafenlogistik an.

Damit sieht Finanzvorstand Ralf Thomas auch gute Optionen zur Finanzierung für Altair. Siemens will die Übernahme vollständig in bar bezahlen. Neben bestehenden Mitteln, etwa aus dem Innomotics-Verkauf verfüge Siemens über erhebliches Potenzial durch den Verkauf von Anteilen an börsennotierten Unternehmen, so Thomas mit Verweis auf Siemens Healthineers und Siemens Energy. Siemens hat bereits seit der Abspaltung von Energy angekündigt, sich von den restlichen Anteilen trennen zu wollen.

Und auch der Anteil von etwas mehr als 75 Prozent an Healthineers wird vom Siemens-Management nicht "religiös" betrachtet. Der Medizintechnikkonzern wird an der Börse mit 54 Milliarden Euro bewertet. So könnte ein Verkauf von fünf Prozent Thomas zufolge eine gute Größe sein. Entschieden sei über die Struktur der Altair-Finanzierung aber noch nicht. Sollte es zu Anteilsverkäufen kommen, werde dies jedoch kursschonend durchgeführt, sagte Thomas. Die Transaktion soll in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres 2025 abgeschlossen werden.

Siemens Healthineers geriet an der Börse zunächst etwas stärker unter Druck. Das ebenfalls im Dax notierte Papier verlor zwischenzeitlich mehr als ein Prozent, Siemens Energy gaben ebenfalls nach, konnte die Verluste aber auch eingrenzen.

Nicht beeinträchtigt durch den Zukauf werde die Ausschüttungsfähigkeit von Siemens an seine Aktionäre, hieß es. Der Konzern erhofft sich durch die Übernahme zudem signifikante Umsatz- und Kostensynergien. Sie soll den Umsatz im digitalen Geschäft von Siemens um acht Prozent steigern und den im Geschäftsjahr 2023 berichteten Umsatz in dem Bereich um ungefähr 600 Millionen Euro erhöhen. Langfristig verspricht sich Siemens einen positiven Umsatzeffekt von mehr als einer Milliarde Dollar jährlich.

Im zweiten Jahr nach dem Abschluss erwartet Siemens durch Kostensynergien einen positiven Effekt auf das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von mehr als 150 Millionen Dollar pro Jahr. Zudem soll sich die Transaktion dann auch positiv auf das Ergebnis je Aktie vor bestimmten Kaufpreiseffekten auswirken.

Die Digital-Sparte gehört zu den großen Wachstumstreibern von Siemens. Obendrein ist es ein margenstarkes Geschäft. Zuletzt geriet jedoch der Bereich Fabrikautomation wegen der anhaltenden Konjunkturschwäche unter Druck./nas/mis/jha/