BERLIN (dpa-AFX) - Für viele Supermarktkunden und die Ernährungsbranche ist es mittlerweile ein Dauerbrenner: Wie leicht kann man beim Fleischkauf erkennen, wie Schweine oder Rinder einst in den Ställen lebten? Und wie kommen verlässliche Milliarden für mehr Tierschutz zusammen, damit die Bauern nicht allein auf den Mehrkosten sitzen bleiben? In der geplatzten Ampel-Koalition hat Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) dazu einiges auf den Weg gebracht. Eine breit getragene Kommission mahnt jetzt aber einen neuen Anlauf für einen großen Umbau bei der künftigen Regierung an - womöglich mit Folgen für die Preise.
"Es besteht dringender Handlungsbedarf", heißt es in Empfehlungen, die das vom Kabinett eingesetzte Gremium vorlegte. Der noch von der Vorgängerregierung ins Leben gerufenen "Zukunftskommission Landwirtschaft" gehören Vertreterinnen und Vertreter von Bauern und Ernährungsbranche, Natur- und Verbraucherschützern, Handel und Wissenschaft an. Nach den Bauernprotesten gegen das Aus für langjährige Diesel-Subventionen zu Jahresbeginn hatte sich im Frühling auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Fachleuten ausgetauscht.
Der Markt wird es "nicht allein stemmen"
"Die zwischenzeitlich vollzogenen politischen Maßnahmen sind ein erster Schritt", heißt es zur Tierhaltung im Bericht. Eine schrittweise Anhebung des Tierwohlniveaus bedürfe aber eines ehrgeizigen Zeitplans und nachhaltiger Voraussetzungen, um gesellschaftlichen Ansprüchen zu entsprechen und die Wettbewerbsfähigkeit der Nutztierhaltung und der Fleischwirtschaft sicherzustellen. Man empfehle der kommenden Bundesregierung, hier die politische Priorität zu setzen und in die konkrete Umsetzung zu gehen. "Der Markt wird diese Aufgabe nicht allein stemmen können, es braucht massive Unterstützung des Staates."
Beschlossene Sache ist schon ein verpflichtendes Tierhaltungslogo, das im August 2025 mit Schweinefleisch im Einzelhandel starten soll. Das System mit fünf Kategorien reicht von der Haltungsform "Stall" mit den gesetzlichen Mindestanforderungen bis "Bio". Außerdem ist eine Milliarde Euro zur Förderung besserer Bedingungen reserviert. "Wir haben in dieser Legislaturperiode umgesetzt, was andere immer nur angekündigt haben", sagte Özdemir. Gleichwohl hätte er sich mehr gewünscht, "als in der Regierungskonstellation möglich war". Tatsächlich prallten Vorstöße des grünen Ministers etwa für eine umfassendere Finanzierung oder eine Ausweitung des Logos auch auf Restaurants und Kantinen an der FDP ab.
Höhere Mehrwertsteuer favorisiert
Die Kommission moniert nun, der aktuell verfügbare Finanzierungsrahmen sei "absolut unzureichend" und müsse überarbeitet und verbindlich fixiert werden. Dabei betrachte man "eine schrittweise, moderate Anhebung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf tierische Produkte als das geeignetste Instrument, um mit diesen Mitteln in den Haushalten von Bund und Ländern die notwendigen Spielräume für den Umbau der Tierhaltung zu generieren". Soziale Aspekte seien zu berücksichtigen. Ein Anheben des Mehrwertsteuersatzes von ermäßigten 7 Prozent im Vergleich zum regulären Satz von 19 Prozent ist schon im Gespräch, seit 2020 ein anderes Expertengremium ein Konzept vorlegte. Aufgegriffen wurde es nicht.
Reichlich Kritik äußert die Regierungskommission auch am bisherigen gesetzlichen Modell der Tierhaltungskennzeichnung, die "fortschrittlichen Entwicklungen für eine Dynamik im Tierwohl" entgegenstehe und daher "konstruktiv" weiterentwickelt werden müsse - und zwar unter Einbindung aller relevanten Akteure und der Wissenschaft. Als Schwachpunkt genannt wird etwa, dass bestehende Initiativen nicht berücksichtigt worden seien, zentrale Nutztierarten und Produktgruppen fehlten und die staatliche Kennzeichnung grafisch in einer für Verbraucherinnen und Verbraucher "kaum verständlichen Form" umgesetzt sei. Schon länger in den Kühltheken verbreitet ist eine eigene freiwillige Kennzeichnung des Handels.
Neben der Tierhaltung nimmt die Kommission, die mit ihrer übergreifenden Besetzung schon eine Art "Agrarfrieden" zustande brachte, weitere Themen in den Blick:
Gesellschaftliche Debatte
"Deutschland braucht mutige, konsensuale Lösungen für eine zukunftsfähige und nachhaltige Landwirtschaft, um einer Polarisierung entgegenzuwirken", heißt es in den Empfehlungen. Dafür sollten gerade Jugendverbände systematisch eingebunden werden.
EU-Agrarfinanzierung
Die Kommission unterstützt eine Neuausrichtung der Milliarden für die Landwirte aus Brüssel - nämlich weniger Einkommensstützung mit Direktzahlungen nach Fläche und mehr Einkommensanreize für das Erbringen gesellschaftlicher und ökologischer Leistungen.
Lebensmittelmarkt
Die Stellung der Bauern angesichts der großen Marktmacht von Verarbeitungs- und Handelskonzernen soll gestärkt werden - etwa mit verbindlichen Lieferverträgen mit konkreten Angaben über Menge, Qualität, Preis und Laufzeit für mehr Planungssicherheit.
Pflanzen und Düngung
Die Züchtung an das Klima angepasster ertragreicher Pflanzensorten sei von essenzieller Bedeutung - und müsse auch dazu beitragen, den Pflanzenschutzmitteleinsatz zu reduzieren. Nötig sei auch eine "deutliche Verschlankung der Düngeregelungen".
Der Bauernverband erklärte, es liege jetzt in den Händen der nächsten Bundesregierung, die Empfehlungen aufzugreifen und aus den Ergebnissen Lösungen für eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft zu finden. Der Naturschutzbund (Nabu) betonte, die Einigung innerhalb der Kommission zeige, "dass auch nach den emotionalen Agrar-Debatten der vergangenen Monate die Gräben überwunden werden können, wenn gemeinsam nach Lösungswegen und Kompromissen gesucht wird." Das sei ein wichtiges Signal an Politik und Gesellschaft./sam/DP/men