BERLIN (dpa-AFX) - Vor dem Hintergrund steigender Preise für Energie, Lebensmittel und Wohnen treibt die Deutschen in diesem Jahr die Furcht ums eigene Geld besonders um. Die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten ist mit Abstand Sorge Nummer eins in der jährlich erhobenen Umfrage "Die Ängste der Deutschen". 67 Prozent der Befragten äußerten große Furcht davor, dass alles immer teurer wird. Insgesamt sind finanzielle Sorgen Thema der fünf größten Ängste in diesem Jahr. Befragt wurden vom 13. Juni bis 23. August 2400 repräsentativ ausgewählte Männer und Frauen ab 14 Jahren.
Sie sollten vorgegebene Themen auf einer Skala zwischen eins (gar keine Angst) bis sieben (sehr große Angst) bewerten.
Die aufgrund des Ukraine-Kriegs erstmals abgefragte Angst vor weltweit immer mächtiger werdenden Herrschern stieg in der Rangliste direkt auf Platz sieben ein. Die Sorge vor einer deutschen Kriegsbeteiligung tauchte dagegen nicht in den Top Ten auf, stieg im Jahresvergleich jedoch extrem an. Die Zahlen veröffentlichte die R+V-Versicherung am Donnerstag in Berlin.
"Für uns war in diesem Jahr die große Frage, wie der unsägliche Angriff Russlands auf die Ukraine sich auf die Menschen auswirkt. Das sieht man nun ganz klar auch an der Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten", sagte Studienleiter Grischa Brower-Rabinowitsch. Im Vorjahr hatte die Furcht davor mit 50 Prozent den zweiten Platz eingenommen, hinter der Sorge vor höheren Steuern oder gekürzten Leistungen wegen Corona.
Die starke Zunahme um 17 Prozentpunkte sei bemerkenswert, sagte Brower-Rabinowitsch. "Der bange Blick in den Geldbeutel lässt die finanziellen Ängste in die Höhe schnellen." In fast jedem Lebensbereich spürten die Deutschen drastische Preissteigerungen. Zweitgrößte Sorge (58 Prozent) ist die vor unbezahlbarem Wohnraum.
Das Besondere der repräsentativen Studie ist ihr Langzeit-Faktor: Sie gilt Wissenschaftlern daher als Seismograph der Befindlichkeiten rund um Politik, Wirtschaft, Umwelt, Familie und Gesundheit. Viele Fragen werden wiederholt, andere je nach Entwicklung neu gestellt.
Die Ergebnisse im Überblick:
Sorgenvoller Blick in die Zukunft
Insgesamt scheinen die Menschen sorgenvoller als noch vor einem Jahr. Der Angst-Index - der Durchschnitt aller abgefragten Sorgen - stieg um sechs Prozentpunkte und erreichte mit 42 Prozent den höchsten Wert seit vier Jahren. Zum Vergleich: 2016 lag er nach Terroranschlägen und Flüchtlingsdebatte bei einem Spitzenwert von 52 Prozent.
Verschiebung der Ängste - gestiegene Kriegsangst
Während einige Ängste deutlich zunahmen, rutschten andere, die vor Kurzem noch oben in der Rangliste standen, ins Mittelfeld ab. "Der Sorgenhaushalt ist für jede Bürgerin und für jeden Bürger begrenzt. In diesem Jahr haben sich wirtschaftliche Ängste nach vorne geschoben, die Kriegsangst hat zugenommen", sagte der Politikwissenschaftler Manfred Schmidt von der Heidelberger Ruprechts-Karls-Universität. Er berät das R+V-Infocenter seit 18 Jahren bei der Auswertung der Angst-Studie.
Den mit Abstand höchsten Anstieg mit 26 Prozentpunkten gab es bei der Sorge vor einem Krieg mit deutscher Beteiligung (Platz zwölf). Einen ähnlich großen Anstieg habe es zuletzt 1999 infolge des Kosovo-Krieges gegeben, berichteten die Autoren. Bei der Frage nach der Angst vor autoritären Herrschern habe man bewusst auf die Nennung von Russlands Präsident Wladimir Putin verzichtet, damit sie langfristig Teil der Studie bleiben kann, erklärte Brower-Rabinowitsch. "Ich glaube aber, die Leute haben sehr genau verstanden, was damit gemeint ist."
Die in der Studie lange vorn stehende Sorge vor der "Überforderung des Staats durch Geflüchtete" (2021 mit 45 Prozent auf Rang vier) rutschte ein Stück weit nach hinten auf Rang neun, lag aber immer noch bei 45 Prozent. Die Angst, dass es durch den Zuzug ausländischer Menschen zu Spannungen kommt, rangierte mit 37 Prozent dagegen nur noch auf Platz 16 (2021 mit 42 Prozent Platz sieben). Dieser Wert sank im Vorjahresvergleich mit minus fünf Prozentpunkten am stärksten. "Das Thema hat nicht mehr diese dramatische Zuspitzung, die es 2016 gehabt hat", sagte Schmidt.
Furcht vor einem teuren Leben
"Absolut im Zentrum stehen dieses Jahr die materiellen Ängste. Das hat damit zu tun, dass die Menschen mit den steigenden Lebenshaltungskosten tagtäglich konfrontiert sind", ergänzte er. Hinzu komme die Befürchtung, dass es mit der Wirtschaftslage bergab gehe, da dies von Wirtschaftswissenschaftlern und Medien weitgehend übereinstimmend vorhersagt werde. Die Angst vor einer Rezession (57 Prozent), die im Vorjahr noch auf Platz zehn rangierte, stieg nun mit 17 Prozentpunkten sprunghaft an.
Seit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar hat sich das Problem mit steigenden Preisen deutlich verschärft. Vor allem die Preise für Energie und Lebensmittel schossen in die Höhe. Die Inflationsrate lag zum Zeitpunkt der Studie zwischen 7,6 und 7,9 Prozent.
Direkt auf Platz zwei mit 58 Prozent landete die Angst vor unbezahlbarem Wohnraum, die ebenfalls zum ersten Mal abgefragt wurde. "Die hohen und weiter steigenden Wohnkosten an vielen Orten ist für einen Großteil der Bevölkerung ein größeres Problem. Wer nicht in einer finanziell komfortablen Situation ist, stößt bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum an eine unüberwindbare Barriere", sagte Schmidt.
Umweltängste nehmen zu
Einen Anstieg um acht Prozentpunkte gab es bei der Sorge vor Naturkatastrophen und Wetterextremen (49 Prozent, Platz sechs), die Angst vor dem Klimawandel rückte mit einem Plus von sechs Prozentpunkten (46 Prozent) drei Plätze auf Platz acht vor. "Insgesamt spielen die grünen Themen in der Gesamtheit der Befragten aber hinter den materiellen Sorgen die zweite Geige - trotz trockener Sommer, Bränden und aller Sorgen, die der Klimawandel mit sich bringt", sagte Schmidt./kat/DP/ngu