BERLIN (dpa-AFX) - Das Bahnnetz in Deutschland ist an vielen Stellen marode - die Folge: unpünktliche Züge. Und damit mehr Fahrgäste vom Auto auf die Bahn umsteigen, müssen die Kapazitäten ausgebaut werden. Mit einem umfassenden Maßnahmenpaket soll nun der Großumbau in Angriff genommen werden. Neben eher langfristig wirkenden Schritten schlägt eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission auch kleine Maßnahmen vor, die aber eine große Wirkung haben sollen.

"So wie es ist, kann es nicht bleiben", sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Dienstag in Berlin, als er den Abschlussbericht der "Beschleunigungskommission Schiene" mit Vertretern des gesamten Schienensektors entgegennahm. Er sprach von einer "Ersten Hilfe für die Schiene". Das Schienennetz sei lange vernachlässigt worden, die Verkehre aber hätten zugenommen. Das Bahnnetz müsse dringend modernisiert werden.

Die Bahn soll eine Schlüsselrolle dabei spielen, um Klimaziele zu schaffen - bisher klafft im Verkehrsbereich eine große Lücke. Kapazitäten sollen nun erhöht, es soll schneller gebaut und das Netz digitalisiert werden. Das alles wird viel Geld kosten. Wissing machte deutlich, er sei sich mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) einig: an der Finanzierung aus dem Bundeshaushalt soll es nicht scheitern.

Die Bestandsaufnahme der Kommission ist ernüchternd: Das heutige Schienennetz sei in Teilen überlastet und in schlechtem Zustand. "Verspätungen und Zugausfälle gehören zu den Folgen, die Bahnkundinnen und -kunden zu spüren bekommen." Ab dem kommenden Jahrzehnt sollten große Neu- und Ausbaumaßnahmen Abhilfe schaffen. Dann soll auch der "Deutschlandtakt" kommen: der Fernverkehr zwischen den großen Metropolregionen soll enger getaktet werden, Fern- und Regionalverkehr sollen besser aufeinander abgestimmt sein.

"Bis dahin verschärft die deutlich unterfinanzierte Netzinfrastruktur die Situation noch weiter", heißt es im Bericht der Kommission. Eine der Kernpunkte ihrer Vorschläge ist eine radikale Reform der Finanzierung für die Schiene. Bisher gebe es 190 Fördertöpfe, das führe zu wahnsinnig komplexen Verwaltungsverfahren und am Ende eines Haushaltsjahres seien viele Gelder nicht abgeflossen, sagte Tobias Heinemann, Präsident von Mofair, in dem Konkurrenten der Deutschen Bahn vertreten sind.

Deswegen soll es nach dem Willen der Kommission künftig nur noch zwei Fonds geben, die mehrjährig wirken sollen - und nicht von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr: Einen zur Sanierung des Bestandsnetzes und einen Ausbau- und Modernisierungsfonds - für diesen sollten auch Anteile an erwartenden Mehreinnahmen aus der Lkw-Maut verwendet werden. Bisher werden die Einnahmen aus der Lkw-Maut für die Straßeninfrastruktur verwendet. Ob diese Fonds kommen, darüber muss am Ende der Bundestag entscheiden.

Die Kommission schlägt außerdem schnell umsetzbare Maßnahmen vor, mit denen sich das Schienennetz bereits jetzt deutlich verbessern könnte. So solle im Planungsrecht ein "Vorrang der Schiene" eingeführt werden. Für neue Weichen, längere Überholgleise oder die Schließung von Elektrifizierungslücken sollen Umfang und Dauer von Genehmigungsverfahren reduziert werden. Sperrzeiten durch Baustellen im Schienennetz sollen verringert werden. Zentral sei eine Sanierung sogenannter Hochleistungskorridore. Das sind besonders stark genutzte Strecken, auf denen Störungen gravierende Konsequenzen für den gesamten Zugbetrieb haben.

Wissing und die bundeseigene Bahn haben eine solche Generalsanierung bereits angekündigt. Das erste Projekt startet 2024 auf der Strecke Frankfurt/Main und Mannheim, der sogenannten Riedbahn. Die Strecke Berlin-Hamburg soll 2025 folgen und für rund sechs Monate komplett gesperrt und und saniert werden. Für Bahnkunden wird die Generalsanierung also eine schwere Zeit, danach soll aber alles besser werden. Bisher verteilten sich solche Sanierungen aber über mehrere Jahre.

Der Infrastrukturvorstands der Deutschen Bahn, Berthold Huber, sagte, das Schienennetz sei dem hohen Verkehrsaufkommen kaum noch gewachsen. Es sei schlicht zu knapp, zu alt und zu störanfällig. "Um hier kurzfristig Verbesserungen erzielen zu können, muss deshalb vor allem das bestehende Netz in hohem Tempo erneuert und in seiner Kapazität erweitert werden." Dazu könnten die Ergebnisse der Beschleunigungskommission einen überaus wertvollen Beitrag leisten.

Ludolf Kerkeling, Vorstandsvorsitzender der Güterbahnen, forderte politische Priorität für den Maßnahmenkatalog. Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, Mitglied der Kommission, sprach von richtungsweisenden Vorschlägen. Kerstin Haarmann, Bundesvorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs VCD und ebenfalls Kommissionsmitglied, kommentierte: "Jetzt muss Volker Wissing vorlegen, und zwar zügig."

Der Verkehrsminister hat aber aktuell noch eine andere Baustelle. Mit Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) befindet er sich im Clinch zur Frage, ob auch Autobahnen schneller geplant und gebaut werden sollen./hoe/DP/men