BAD HOMBURG (dpa-AFX) - Nach einem Gewinneinbruch im vergangenen Jahr treibt der neue Fresenius-Chef
Investoren reagierten am Mittwochmorgen zunächst verschnupft: Die Aktie verlor im vorbörslichen Handel auf der Plattform Tradegate zwei Prozent im Vergleich zum Xetra-Schlusskurs vom Vorabend.
Mit der Dekonsolidierung von FMC erscheine Fresenius auf dem richtigen Weg, wenngleich unklar bleibe, was mit dem Anteil passieren werde, schrieb JPMorgan-Analyst David Adlington in einer ersten Reaktion. Die Konzernprognose für das laufende Jahr dürfte aber angesichts des Gegenwinds für FMC, Vamed und Kabi am Markt schlecht aufgenommen werden, urteilte der Experte.
"2023 ist das Jahr, in dem wir entscheidende Weichen für die kommenden Jahre oder sogar Jahrzehnte stellen", sagte Sen am Dienstagabend. Allerdings ließen sich die Probleme nicht "über Nacht lösen". Damit bleiben auch die Aussichten für die kommenden Monate trübe, denn das Management rechnet trotz voraussichtlich weiter anziehender Erlöse in diesem Jahr bestenfalls mit einem stabilen Ergebnis. Im schlechtesten Fall schließt die Führung auch einen Rückgang im hohen einstelligen Prozentbereich nicht aus.
Die derzeit noch als Kommanditgesellschaft auf Aktien organisierte FMC soll in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden. Die zuständigen Gremien hatten die Dekonsolidierung des Blutwäschespezialisten im Wege eines Formwechsels in eine Aktiengesellschaft zugestimmt, wie der Dax-Konzern
Im vergangenen Jahr erlitt Deutschlands größter Krankenhausbetreiber Fresenius einen Gewinneinbruch. Inflation, gestiegene Kosten, Personalmangel und Lieferkettenprobleme belasteten das Ergebnis deutlich. Obwohl der Umsatz zum Vorjahr um neun Prozent auf rund 40,8 Milliarden Euro stieg, sank das bereinigte operative Ergebnis um sechs Prozent - ohne Wechselkurseffekte sogar um elf Prozent. Das um Sondereffekte bereinigte Konzernergebnis fiel nominal um sieben Prozent auf 1,7 Milliarden Euro.
Größte Bürde war die Dialysetochter FMC: Dort knickte der Gewinn 2022 um zehn Prozent ein. Noch gravierender war der Einbruch beim Klinik-Dienstleister Vamed. Auch beim Flüssigmedizinspezialisten Kabi lief es durchwachsen, während Fresenius in seinem Klinikgeschäft auf Jahressicht zulegte. "Damit können wir nicht zufrieden sein", sagte Sen.
Der hoch verschuldete Konzern will die Kosten nun stärker senken, vor allem bei FMC. Laufende Sparprogramme würden intensiviert, hieß es. Ab 2025 solle jährlich rund eine Milliarde Euro eingespart werden. Auch bekommen die Aktionäre für 2022 erstmals seit fast 30 Jahren keine Dividendenerhöhung, sondern mit 92 Cent je Aktie eine Ausschüttung auf dem Vorjahresniveau. FMC-Chefin Helen Giza rechnet derweil laut Mitteilung damit, ihr Unternehmen erst 2024 wieder zu Gewinnwachstum zurückführen zu können. Sen betonte, er sei sehr zuversichtlich, dass die geplanten Maßnahmen im kommenden Jahr erste Früchte tragen werden.
Auf die Schwäche bei FMC will Fresenius nun reagieren und das Sorgenkind nicht mehr voll bilanzieren. Derzeit hält das Unternehmen rund ein Drittel an der Dialysetochter. Wegen der bisherigen Organisation der beiden Unternehmen als Kommanditgesellschaften auf Aktien fließen die Ergebnisse von FMC aber komplett in die Fresenius-Bilanz ein. Dem Blutwäschespezialisten FMC machten zuletzt ein Mangel an Pflegekräften in den USA, Lieferkettenprobleme sowie höhere Löhne und Materialkosten zu schaffen. Zudem starben viele Dialysepatienten an Corona. Für Fresenius wurde FMC damit zunehmend zum Bremsklotz.
Mit dem Formwechsel wäre der Konzern diese Last künftig los, da FMC nur noch als Finanzbeteiligung berücksichtigt werden dürfte. Mit der Entflechtung wäre zudem der Weg zu einem möglichen späteren Verkauf von FMC geebnet, den schon der frühere Fresenius-Chef Stephan Sturm ins Spiel gebracht hatte. Auch Sen hält sich diese Option offen, sofern ein Verkauf lukrativ für Fresenius wäre. Dafür muss aber wohl zunächst der FMC-Aktienkurs anziehen - allein auf Sicht von zwölf Monaten hat die Aktie gut ein Drittel verloren.
Mit dem Fokus auf die Sparten Arzneien und Medizinprodukte (Kabi) sowie Kliniken (Helios) konzentriere sich Fresenius künftig auf "strukturelle Wachstumsfelder der Industrie", sagte Sen weiter. In diesen zugleich "kritischen Bereichen des Gesundheitswesens" verfügten die Bad Homburger über eine "sehr attraktive Marktposition". Spekulationen über einen geplanten Verkauf der spanischen Klinikkette Quironsalud erteilte Fresenius-Chef Sen am Dienstagabend eine Absage. Sie bleibe Teil der Strategie. Der Dienstleister Vamed soll laut dem Manager hingegen in Zukunft nachrangig und "wie eine Finanzbeteiligung" behandelt werden.
Fresenius und FMC stehen nach zahlreichen Gewinnwarnungen in den vergangenen Jahren schon länger unter Druck. 2022 hatten beide Dax-Unternehmen ihre Ziele gleich zweimal senken müssen. Der langjährige Fresenius-Lenker Stephan Sturm verließ das Unternehmen im vergangenen Herbst, nachdem er die Probleme offensichtlich zu zögerlich angegangen war. Sen, der zuvor die Flüssigmedizintochter Kabi geleitet hatte, rückte dann Anfang Oktober an die Unternehmensspitze.
Der Manager verkündete kurz nach seinem Amtsantritt eine radikale Überprüfung der komplexen Konzernstrukturen mit den Säulen Dialyse, Kliniken, Arzneien und Projektgeschäft, die auch bei Investoren schon länger in der Kritik stand. Auch Sen sparte am Dienstagabend nicht mit Vorwürfen: Fresenius habe in den vergangenen Jahren die Richtung gefehlt. Der Konzern habe dabei keine "zufriedenstellende Gesamtperformance" geliefert. Wachsende Schulden hätten den Spielraum des Unternehmens eingeengt. Mit der geplanten strukturellen Vereinfachung werde Fresenius mit einem stärkeren Fokus auf die Rendite seine Leistungsfähigkeit wieder verbessern können, ergänzte der Manager./tav/stw/jha/