BERLIN (dpa-AFX) - Deutschland ist ein sicheres Land - aber das empfindet längst nicht jeder überall so. Insbesondere im öffentlichen Nahverkehr fühlen sich viele nachts unwohl, Frauen ganz besonders. Das geht aus dem Bericht "Sicherheit und Kriminalität in Deutschland" hervor, den der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag in Berlin vorstellten. Die Befragung mit mehr als 45 000 Teilnehmern ist laut BKA die größte, die es in Deutschland je zu Erfahrungen mit Kriminalität gegeben hat.
Angst-Orte: "Die Ergebnisse zeigen, dass Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ein fester Bestandteil des Alltagslebens vieler Frauen sind", stellte Münch fest. Mehr als jede Zweite gab an, "häufig" oder "sehr oft" bestimmte Straßen, Parks oder Plätze zu meiden, Fremden nach Möglichkeit auszuweichen oder nachts den ÖPNV zu meiden. Männer tun dies deutlich seltener. Faeser erklärte: "Dass sich viele Frauen nachts nicht frei bewegen, dass sie sich einschränken, weil sie sich bedroht fühlen, können wir so nicht hinnehmen." Es brauche eine stärkere Präsenz von Personal etwa in Verkehrsmitteln, aber auch eine höhere Polizeipräsenz und Videoüberwachung an bestimmten Orten.
Zuhause fühlen sich die allermeisten Befragten sicher, ob Mann oder Frau. Selbst wenn sie dort nachts allein sind, fühlen sich dort mehr als 90 Prozent der Befragten "sehr sicher" oder "eher sicher". Auch die eigene Wohngegend empfinden viele (72 Prozent) selbst ohne Begleitung nachts als sicher. Ganz anders sieht das aber in Bus und Bahn aus: Weniger als jeder Zweite (46,3 Prozent) fühlt sich nachts ohne Begleitung im öffentlichen Personennahverkehr "sehr sicher" oder "eher sicher".
Bei Frauen ist das Unbehagen besonders stark ausgeprägt: Nur ein Drittel fühlt sich nachts im ÖPNV ohne Begleitung sicher, gegenüber 59,9 Prozent der Männer. Generell fühlen sich Frauen auch in der eigenen Wohnung und Wohngegend unsicherer als Männer, sowohl tagsüber als auch nachts, auch wenn der Unterschied zwischen den Geschlechtern hier weniger groß ist als im öffentlichen Nahverkehr.
Männer häufiger Opfer: Männer werden häufiger Opfer von Straftaten als Frauen. Mehr als doppelt so viele Männer (2,8 Prozent) haben eine Körperverletzung erlitten wie Frauen (1,3 Prozent). Ihnen wird auch eher Gewalt angedroht. Frauen leiden allerdings erheblich öfter unter Sexual- und Partnerschaftsgewalt: 6 Prozent der weiblichen Befragten haben das im vergangenen Jahr erlebt, aber nur 1,1 Prozent der männlichen. Dazu gehören das Zeigen von Geschlechtsteilen und körperliche sexuelle Belästigung.
Risiko Internetkriminalität: Das Delikt, dem die meisten Menschen in Deutschland zum Opfer fallen, ist die Cyberkriminalität. "Cybercrime ist eine der größten Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden", sagte Münch. 13,5 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Untersuchung haben damit in zwölf Monaten vor der Befragung Erfahrungen gemacht, gefolgt von Betrug und Diebstahl mit jeweils 12 Prozent. Sachbeschädigung haben 9,3 Prozent erlebt. Wohnungseinbrüche sind vergleichsweise selten: Davon waren 4,3 Prozent betroffen. Mehr als jeder Vierte verzichtet aus Sicherheitsgründen auf die Abwicklung von Geldgeschäften über das Internet.
Gewalterfahrungen: Raubüberfälle oder Täter, die mit gezogener Waffe auf ihr Opfer losgehen, sind selten. Die meisten Menschen, die in Deutschland Gewalt erfahren, erleben verbale Gewalt im Internet - das haben 4,6 Prozent der Befragten im Jahr vor der Befragung mindestens einmal mitgemacht. Die meisten Opfer trifft es aber wiederholt, und zwar im Schnitt zwölfmal.
Angst vor Kriminalität: Am meisten sorgen sich die Menschen in Deutschland vor Betrug im Internet - das fürchten immerhin 40 Prozent. Vor Wohnungseinbrüchen fürchtet sich mehr als jeder Vierte. Die Furcht, wegen Vorurteilen Opfer von Straftaten zu werden, plagt nur wenige Menschen in Deutschland ohne Migrationshintergrund, nämlich 9,7 Prozent. Ganz anders sieht es aber bei Befragten mit familiären Wurzeln im Ausland aus: So fürchten dies 18,3 Prozent der Befragten mit polnischem und sogar 49,1 Prozent der Befragten mit türkischem Migrationshintergrund.
Zufriedenheit mit der Polizei: Mit der Arbeit der Polizei zeigten sich die meisten Befragten sehr zufrieden. Mehr als 90 Prozent meinen, die Beamten behandelten Menschen im Allgemeinen mit Respekt. Mehr als 80 Prozent denken, die Polizei setze Gewalt nur ein, wenn es in einer Situation gerechtfertigt sei. Auch die Arbeit der Polizei betrachten viele als erfolgreich, wenn auch mit besseren Werten bei der Bekämpfung von Straftaten als bei der Vorbeugung. Allerdings halten fast 80 Prozent der Befragten die Polizei für überlastet, nur vergleichsweise wenige Befragte (60,8 Prozent) meinen, die Beamten seien ausreichend häufig im öffentlichen Raum zu sehen.
Befragte mit Migrationshintergrund blicken zudem deutlich skeptischer auf die Polizei. Insbesondere türkischstämmige Menschen empfinden Polizistinnen und Polizisten häufiger als rücksichtslos und meinen, es fehle bei den Beamten an Mitgefühl. Faeser sagte, es brauche mehr Diversität innerhalb der Polizei und stärkere Schwerpunkte in der Ausbildung etwa gegen rassistische Vorurteile. Allerdings warnen die Autoren, dass diese Ergebnisse auch von anderen Faktoren beeinflusst sein können, etwa einer je nach Bevölkerungsgruppe unterschiedlichen Alters- und Geschlechtszusammensetzung.
Anzeige oder nicht: Bestimmte Taten werden viel häufiger zur Anzeige gebracht als andere. So gehen nach einem Autodiebstahl oder einem vollendeten Wohnungseinbruch ungefähr 90 Prozent der Betroffenen zur Polizei. Opfer von Cyberkriminalität oder Sexualstraftaten tun dies hingegen sehr selten - hier erstatten nur 18 beziehungsweise 1 Prozent Anzeige.
Corona-Pandemie: Die Befragung fiel in die Zeit der Corona-Pandemie in Deutschland. Die Autoren des Berichts gehen deshalb davon aus, dass die Pandemie sich auf die Eindrücke der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgewirkt hat - da Vergleichsdaten für die Zeit davor fehlen, könnten sie aber nicht genau sagen, wie. Die nächste Befragung soll laut Münch 2024 starten, danach soll es dann alle zwei Jahre eine Neuauflage geben./hrz/DP/ngu