KARLSRUHE (dpa-AFX) - Die Bundesregierung muss den Bundestag auch in Fragen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik so früh wie möglich umfassend einbinden. Das geht aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hervor, das am Mittwoch in Karlsruhe verkündet wurde. Der Bundestag müsse auch in diesem Bereich über Sitzungen der Unionsorgane und informelle Beratungen so rechtzeitig informiert werden, dass er auf Verhandlungslinie und Abstimmungsverhalten der Bundesregierung noch Einfluss nehmen könne, sagte Vizegerichtspräsidentin Doris König. (Az. 2 BvE 3/15 u.a.)

Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats gaben zwei Organklagen der Fraktionen von Grünen und Linken statt, die die bisherige restriktive Praxis seit langem kritisiert hatten. Konkret ging es um zwei Vorgänge vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise 2015.

Damals hatte die Bundesregierung den Parlamentariern einen Konzeptentwurf für die inzwischen ausgelaufene EU-Operation "Sophia" gegen Schleuser im Mittelmeer erst dann zugänglich gemacht, als der Einsatz im Rat der EU-Mitgliedstaaten bereits beschlossen war. Das Papier konnte auch dann nur in der Geheimschutzstelle des Bundestags und nur von Mitgliedern bestimmter Ausschüsse eingesehen werden.

Das zweite Verfahren betraf ein Schreiben des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu an Kanzlerin Angela Merkel (CDU), das die Linksfraktion vergeblich angefordert hatte.

In beiden Fällen wurde der Bundestag in seinen Beteiligungsrechten verletzt, wie das Gericht jetzt feststellte. In Artikel 23 des Grundgesetzes steht, dass Bundestag und Bundesrat in Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirken. Und weiter: "Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten."

Die Verfassungsrichter hatten schon in früheren Entscheidungen darauf gepocht, dass die Bundesregierung den Bundestag vor wichtigen Weichenstellungen in EU-Fragen rechtzeitig mit ins Boot holt. Die Bundesregierung war allerdings der Ansicht, dass für die Sicherheits- und Außenpolitik besondere Regeln gelten. Sie hatte sich in der Verhandlung Mitte Juni auf ein Gesetz zur Zusammenarbeit mit dem Bundestag berufen, wonach nur "auf Anforderung Dokumente von grundsätzlicher Bedeutung" zuzuleiten sind.

Das Auswärtige Amt wird inzwischen von der Grünen-Ministerin Annalena Baerbock geführt. Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Jürgen Trittin, hatte das im Juni eine zufällige Konstellation genannt - es gehe um einen institutionellen Konflikt./sem/DP/ngu