BERLIN (dpa-AFX) - Vertreter von Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft kommen an diesem Dienstag in Berlin zu einem "Bildungsgipfel" zusammen. Die Ampel-Parteien hatten ein Treffen unter diesem Titel in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Bei der Konferenz soll es um grundsätzliche Probleme in der Bildungspolitik gehen. Die Veranstaltung steht allerdings vorab bereits in der Kritik. Nicht nur Oppositionspolitiker erwarten sich nicht viel davon.
Laut Koalitionsvertrag soll es bei dem Gipfel um "eine neue Kultur in der Bildungszusammenarbeit" und engere Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen gehen. Verbesserungen im Bildungssystem in Deutschland sind wegen der verschiedenen Zuständigkeiten oft nur mühsam zu erreichen. Probleme gibt es genug - vom Dauerthema Lehrkräftemangel über Leistungsabfälle bei Grundschülern bis hin zu hohen Schulabbrecherquoten.
Bildungssystem in tiefer Krise
Das deutsche Bildungssystem stecke in einer tiefen Krise hatte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die für die Regierung an dem Treffen in Berlin teilnimmt, der "Bild am Sonntag" gesagt. Bund, Länder und Kommunen müssten endlich an einem Strang ziehen. "Wir müssen uns jetzt zusammenraufen, schließlich geht es um unsere Kinder und ihre Chancen."
Unionsländer schicken nur Staatssekretär
Zunächst sieht es aber nicht nach einem Zusammenraufen aus. Die Kultusminister der SPD-geführten Bundesländer werden beim Bildungsgipfel von Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) vertreten. Die unionsgeführten Länder schicken nur einen Staatssekretär, der laut Programm auf dem Podium auch nicht mitdiskutieren wird.
Es sei bedauerlich, dass Kultusminister der Union angesichts der Herausforderungen Terminschwierigkeiten hätten, sagte ein Sprecher des Bundesbildungsministeriums der dpa. "Der Bildungsgipfel ist eine Einladung an alle Beteiligten, die Bildungskrise gemeinsam zu überwinden. Diese Herkulesaufgabe schafft niemand alleine."
Pferd vom Schwanz aufgezäumt?
Die Unionsländer hatten vorher abgewunken: Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sprach von einer "Showveranstaltung", die in ihrer Art ungeeignet sei, die Themen anzugehen. "Das Bundesbildungsministerium hätte einen solchen Gipfel professionell vorbereiten müssen", sagte der Vertreter der Kultusminister der Unionsseite, Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU), dem Informationsdienst "Table.Media".
Üblicherweise werden vor Gipfeln bereits Papiere abgestimmt und dann beim eigentlichen Termin nur noch zu Ende verhandelt, so dass anschließend ein Ergebnis verkündet werden kann. Ministerin Stark-Watzinger will nach eigenen Angaben bewusst einen anderen Weg gehen und stattdessen mit dem Gipfel einen Prozess anstoßen: Eine Arbeitsgruppe von Bund, Ländern, Kommunen und Experten soll eingerichtet werden, die Vorschläge für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen zusammentragen soll. Das Bildungsministerium "zäumt das Pferd vom Schwanz auf", kritisierte Lorz.
Auch an der Gipfel-Besetzung gibt es Kritik: Es lasse nichts Gutes erahnen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der Konferenz fernbleibe, sagte der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek (CDU), der dpa.
Skeptische Töne kamen aber nicht nur aus der Union. Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD), turnusgemäß Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und beim Gipfel dabei, sagte vorab: "Ich freue mich auf hoffentlich konstruktive Gespräche, aber ich gehe ohne allzu große Erwartungen dorthin, zumal auch keine konkreten Ziele vorher mit der KMK und den Bundesländern besprochen wurden."
Meidinger kritisiert "Kindergarten"
Deutliche Kritik an allen Akteuren kam vom Chef des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger: "Wenn es weder die Mehrheit der Schulministerien als auch der Bundeskanzler selbst für nötig empfinden, am Bildungsgipfel anwesend zu sein, wenn offensichtlich nicht einmal die Regierungsparteien selbst mit einem abgestimmten Konzept in die Beratungen gehen (...), dann werden die politischen Entscheidungsträger ihrer Verantwortung nicht gerecht", sagte er der dpa. Das Kompetenzgezerre im Vorfeld erinnere mehr an einen Kindergarten als an eine ernsthafte inhaltliche Diskussion.
Überlappende Probleme im Bildungssystem
Dabei ist der Handlungsdruck groß, weil sich die aktuellen Probleme im System gegenseitig verstärken: Tests hatten einen Leistungsabfall bei Grundschülern gezeigt. Dazu kommen Lernlücken durch eingeschränkten Schulbetrieb in der Corona-Zeit. Mehr Lehrkräfte wären gut, um Defizite abzubauen und zu verhindern, dass daraus später noch mehr Schulabbrecher werden, die dann wiederum als Fachkräfte fehlen. Aber Lehrer bleiben wohl noch auf Jahre knapp, weil mehr Personal in den Ruhestand geht, als Nachwuchs nachkommt, bei gleichzeitig steigender Schülerzahl. Lehrkräfte sind zusätzlich gefordert durch mehr als 200 000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine. Und obendrauf kommt die Digitalisierung, die auch die Bildung nachhaltig verändern wird./jr/DP/zb