BERLIN (dpa-AFX) - Mit dem Geld ließen sich für ein Jahr lang bequem die Ausgaben der Stadt Berlin bestreiten - 44,1 Milliarden Euro wurden 2021 in Deutschland in legale Glücksspiele gesteckt. 4,6 Millionen Erwachsene sind spielsüchtig oder zeigen erste Symptome dafür. Diese Zahlen stehen im "Glücksspielatlas 2023", den der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert am Montag in Berlin vorstellte.

"Glücksspiel ist ein absolutes Big Business", sagte der SPD-Politiker. Das zeigt sich auch an den Steuereinnahmen: 5,2 Milliarden Euro nahm der Staat 2021 durch legales Glücksspiel ein - mehr als doppelt so viel wie über die Alkoholsteuer, die im Jahr nur etwa zwei Milliarden Euro einbringt.

Der "Glücksspielatlas" wurde von Wissenschaftlern aus der Suchtforschung und Suchthilfe erstellt und vom Bundesgesundheitsministerium gefördert. Er soll einen grundsätzlichen Überblick über das Thema in Deutschland geben, etwa über rechtliche Regelungen, Umsätze in der Branche und Themen wie Sucht und Prävention.

1,3 Millionen Menschen spielsüchtig, 3,3 Millionen gefährdet

"Glücksspiel macht seine Teilnehmenden selten glücklich", sagte Blienert. In Deutschland gibt es demnach rund 1,3 Millionen Menschen, bei denen sich das Leben fast nur noch ums Spielen dreht. Bei ihnen besteht eine sogenannte Glücksspielstörung. Die Folgen der Sucht können schwerwiegend sein: Verschuldung, Verlust von Job und Familie, Beschaffungskriminalität, gesundheitliche Schäden bis hin zur Suizidalität. "Glücksspielsucht ist eine Krankheit", sagte Christina Rummel, Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen am Montag in Berlin.

Weitere 3,3 Millionen Menschen zeigen laut "Glücksspielatlas" ein riskantes Spielverhalten mit ersten Anzeichen für eine Sucht, etwa entzugsähnliche Erscheinungen, wenn nicht gespielt wird oder die Rückkehr zum Glücksspielen am nächsten Tag, um Verluste auszugleichen. Die Daten stammen aus einer Befragung von 2021.

Zocken für 800 Euro im Monat - Spieler verlieren 13,4 Milliarden

Glücksspielsüchtige setzen im Monat im Schnitt bis zu 800 Euro ein. Bei denjenigen, die ein riskantes Spielverhalten an den Tag legen, sind es immerhin noch 206 Euro. Am meisten klingelt die Kasse immer noch bei den Anbietern von Glücksspielautomaten. 4,8 Milliarden Euro nahmen diese abzüglich der ausgeschütteten Gewinne im vergangenen Jahr ein, dahinter folgt Lotto (4,1 Milliarden). Einen starken Zuwachs sieht der Atlas bei Sportwetten seit deren Legalisierung im Herbst 2020 (1,4 Milliarden).

In den Kassen der gesamten legalen Glücksspielbranche landeten 2022 abzüglich der ausgeschütteten Gewinne insgesamt 13,4 Milliarden Euro. Experten nennen das auch den Nettoverlust aller Spielerinnen und Spieler.

Jeder fünfte spielt Lotto

Glücksspielsucht steht demnach eher mit Automaten, Sportwetten oder Kasinos in Zusammenhang. Spielen an sich ist ansonsten immer noch weit verbreitet, geht aber zurück. Fast jeder Dritte hat dem Bericht zufolge im Jahr 2021 mindestens einmal im Jahr gespielt. 2007 war es noch mehr als jeder Zweite. Am stärksten nachgefragt ist das klassische Lotto 6 aus 49. 2021 gaben 19 Prozent der Bevölkerung Tipps dafür ab, danach kamen andere Lotterien wie der Eurojackpot.

"Verquickung" von Sport und Glücksspiel

Blienert sagte, ihn mache besonders die Entwicklung im Sportwettenbereich mit dessen enorm hoher Suchtgefährdung betroffen. Er kritisierte eine "Verquickung" des Glücksspiels mit dem als sehr positiv empfundenen Sport. "Wenn man sich heute Bundesliga-Ergebnisse abrufen will im Smartphone, wird man sofort mit Angeboten von Sportwettanbietern konfrontiert."

Ähnlich äußerte sich der "Glücksatlas"-Mitautor und Glücksspielforscher Tobias Hayer von der Universität Bremen. Bei Liveübertragungen der Bundesliga sehe er mehr Sportwetten-Werbung als Fußball. Blienert bekräftigte seine schon früher erhobene Forderung, auf Sportwetten-Werbung bis 23.00 Uhr zu verzichten, um Kinder und Jugendliche zu schützen.

Hilfe durch Spieler-Sperre

Die Suchtexperten des Glücksspielatlas wiesen bei der Vorstellung am Montag auch noch einmal auf die Möglichkeit von Spielersperren hin. Betroffene selbst können sich in eine zentrale Datenbank ("OASIS") eintragen lassen und sind dann bundesweit für Online-Glücksspiele, Sportwetten oder Spielhallen gesperrt. Auch Angehörige oder Anbieter können solche Sperren beantragen. Die Möglichkeit werde immer mehr nachgefragt, sagte Christian Schütze vom Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung in Hamburg. Aktuell gebe es mehr als 200 000 Sperren in Deutschland. Die große Mehrheit davon sind Selbstsperren./jr/DP/mis