BERLIN (dpa-AFX) - Ungeachtet der Energiepreiskrise will die Politik mit Dutzenden Maßnahmen das Ziel von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr erreichen. Darauf verständigten sich die Bauwirtschaft, die Gewerkschaften, weitere Verbände, Länder, Kommunen und der Bund am Mittwoch in einem von der Regierung initiierten "Bündnis bezahlbarer Wohnraum". Der Mieterbund, der Eigentümerverband Haus & Grund und die Opposition kritisierten das Ausbauziel der Regierung als unrealistisch.
"Die Arbeit des Bündnisses ist von der Realität überholt worden", sagte der Präsident des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Wir sind meilenweit vom Ziel der Bundesregierung entfernt, in diesem Jahr 400 000 Wohnungen zu bauen."
Haus-&-Grund-Chef Kai Warnecke sagte auf Bayern 2 zum Ziel von 400 000 neuen Wohnungen: "Man muss offen und ehrlich sagen, da ist vieles völlig unrealistisch, da kann sich die Bundesbauministerin bemühen, wie sie mag. Das ist ein Ziel, das nicht mehr erreichbar ist." Rund 200 000 Wohnungen seien in diesem Jahr realistisch. "Und wenn man die Baugenehmigungen und Bauanträge anguckt, dann wird das in den nächsten Jahren immer weniger werden, wahrscheinlich sogar unter die 100 000 rutschen."
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hält am Ausbauziel hingegen fest. "Die Konditionen sind schlechter geworden im Vergleich zum Vorjahr, wo wir dann unter 300 000 Wohnungen fertig hatten", sagte sie am Mittwoch im Deutschlandfunk. "Gleichzeitig - und das ist natürlich der Grund, warum ich mich auch von dem Ziel nicht verabschiede, gibt es eine ungebrochene hohe Nachfrage." Am Nachmittag wollten Geywitz und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Pläne der Öffentlichkeit vorstellen.
Ein vom Bund initiiertes "Bündnis bezahlbarer Wohnraum" verständigte sich auf ein 67-seitiges Papier mit Dutzenden Maßnahmen. Im Kern zielt die von Geywitz angetriebene Verständigung darauf ab, die Baukosten zu drücken, Planung und Genehmigung zu entbürokratisieren, durch Bauen in Serie bundesweit mehr Tempo in den Neubau zu bringen, ökologisch zu bauen sowie bestehende Bauflächen und Gebäude besser zu nutzen. Ein Überblick über die Maßnahmen des Bündnisses:
Serielles und modulares Bauen: Dies soll gefördert werden und zur Begrenzung der Baukosten beitragen. Bei hoher Stückzahl sollen mit gleichbleibender Qualität besonders nachhaltige Gebäude mit hohem Energieeffizienzstandard und positiver Ökobilanz errichtet werden.
Standards: Bauliche Anforderungsniveaus sollen überprüft werden. An die Stelle von hohen marktüblichen Standards sollen verstärkt Mindeststandards treten. Insgesamt soll das gesamte Normungswesen vereinfacht werden.
Stellplätze: Ein Beispiel für geplante Vereinfachungen ist, dass den Kommunen die Möglichkeit eröffnet werden soll, auf eine bisher übliche, nachträgliche Erhöhung der verpflichtenden Zahl von Stellplätzen für Autos bei Aufstockungen von Häusern zu verzichten.
Innenstädte: Ein Ziel insgesamt ist die weitere Verdichtung von Innenstädten. Nachverdichtung und Dachgeschossausbau sollen befördert werden. Geprüft werden sollen Abstandsregelungen, Brandschutz, Denkmalschutz, Natur- und Schallschutz. Auch zu mehr Revitalisierung bisher nicht zugänglicher Brachflächen soll es kommen. Nur noch maximal 30 Hektar Fläche sollen bis 2030 täglich neu für Siedlung und Verkehr gebraucht werden.
Wohngemeinnützigkeit: Die Bundesregierung will eine neue Wohngemeinnützigkeit auf den Weg bringen - verbunden mit einer steuerlichen Förderung und Investitionszulagen. So soll eine neue Dynamik für Bau und Erhalt bezahlbaren Wohnraums erzeugt werden.
Bauförderung: Eine eigenständige Neubauförderung soll etabliert und aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden - Ziel sind Anreize für Investitionen in den bezahlbaren Wohnraum. Die Umsetzung soll durch den Bund bis 1. Januar 2023 erfolgen. Für den sozialen Wohnungsbau sollen die Bundesmittel auf 14,5 Milliarden Euro (2022-2026) aufgestockt werden.
Beschleunigung von Planung und Genehmigungen: Als Schlüssel sieht das Bündnis die Digitalisierung an. Aber auch eine möglichst verbesserte Personalausstattung in den Behörden der Kommunen soll dazu dienen.
Wohnungslosigkeit: Bis 2030 soll die Obdach- und Wohnungslosigkeit überwunden werden. Das Bau-Bündnis will mit einem Nationalen Aktionsplan zur Überwindung der Wohnungslosigkeit mithelfen.
Der CDU-Bauexperte Jan-Marco Luczak kritisierte die Ergebnisse des Bündnisses. "Trotz der vielen hundert Stunden gemeinsamer Sitzungen finden sich auf den 67 Seiten Text vor allem Formelkompromisse, gute Vorsätze und Prüfaufträge", sagte Luczak.
Mieterbund-Präsident Siebenkotten betonte, keineswegs gelöst sei das Problem des immer teurer werdenden Wohnens. Bundesweit sind die Kaltmieten zuletzt innerhalb eines Jahres im Schnitt um drei Prozent gestiegen. Der durchschnittliche inserierte Quadratmeterpreis lag im ersten Halbjahr 2022 bei 9,64 Euro, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Caren Lay hervorgeht, die der dpa vorliegt./bw/DP/stw