BERLIN (dpa-AFX) - Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland dürften früh im neuen Jahr mit Warnstreiks im öffentlichen Dienst der Kommunen konfrontiert sein. Am 24. Januar starten die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten etwa bei der Müllabfuhr, im Nahverkehr oder in Kitas. Verdi-Chef Frank Werneke sagte in einem dpa-Videointerview auf die Frage, ob im Zuge des Tarifpokers Warnstreiks wahrscheinlich seien: "Es ist nicht auszuschließen." Die Stimmung sei aufgeheizt. "Es gibt Frust. Auch darüber, dass sich nicht wirklich was nach vorne entwickelt."

Die dritte Verhandlungsrunde für Bund und Kommunen, die stets zusammen verhandeln, ist für 14. bis 16. März angesetzt. Mehr Warnstreiks nach der zweiten Verhandlungsrunde Ende Februar sind bei den in den vergangenen Jahren alle zwei Jahre stattfindenden Tarifrunden üblich.

Mitten im Bundestagswahlkampf

"Vieles wird auf Verschleiß gefahren", sagte Werneke über kommunale Einrichtungen. "Viele Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge sind unterfinanziert. Der Zustand von öffentlichen Gebäuden ist zum Teil miserabel, von Schulen, von anderen Bereichen." Mehr als jede und jeder Zweite sage: "Unter den jetzigen Arbeitsbedingungen habe ich keine Chance, regulär in Rente zu gehen", sagte Werneke unter Berufung auf eine Befragung der betroffenen Beschäftigten.

"Wir haben einen Riesenmangel an Busfahrerinnen und Busfahrern zum Beispiel." Und alles hänge auch von bundespolitischen Entscheidungen mit Finanzwirkung für die Kommunen ab. Der Milliardenpoker mit Bundesbeteiligung findet dieses Mal mitten im Bundestagswahlkampf statt. Werneke kündigte an, Verdi werde die Kandidatinnen und Kandidaten unter anderem fragen, was ihre Antwort für die Finanzierung der Kommunen sei.

Werneke attackiert Arbeitgeber

Den Arbeitgebern von Bund und Kommunen warf Werneke ein "komplett unverständliches" Verhalten vor. Gerade in diesen Zeiten mit großer Verunsicherung und Fachkräftemangel bei den Kommunen sollten die Arbeitgeber nicht "immer erst ganz am Ende der Tarifverhandlungen irgendwie mit irgendwas rausrücken". Damit verlangte der Gewerkschafter ein frühes Angebot der Arbeitgeberseite.

Die Kommunalhaushalte schätzt der Verdi-Vorsitzende als meist angespannt ein. Dies könne die Verhandlungen belasten. "Das liegt ganz klar daran, dass zu viele Aufgaben auf die Kommunen übertragen werden, ohne dass es eine ausreichende Finanzierung durch Länder und vor allen Dingen durch den Bund gibt."

"Ein ganz grundlegendes Problem"

"Die Kommunen sind ja der Ort, wo die Bürgerinnen und Bürger den Staat, die Demokratie unmittelbar spüren und erleben", sagte Werneke. "Und wenn es da große Schwächen und Defizite gibt, ist das aus meiner Sicht auch demokratiegefährdend. Und deshalb ist ein ganz grundlegendes Problem."

Rund 2,5 Millionen Beschäftigte sind von den Tarifverhandlungen für Bund und Kommunen betroffen - von möglichen Streiks noch viel mehr Menschen. Auf die Beamtinnen und Beamte dürfte ein Ergebnis übertragen werden. Verdi und Beamtenbund dbb verlangen acht Prozent mehr Einkommen für die Beschäftigten - mindestens aber 350 Euro pro Monat. Beide hatten im Oktober ihre Forderungen beschlossen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte damals, diese seien sehr hoch. Die kommunalen Arbeitgeber warnten vor überzogenen Wünschen: "In Summe gefährden die Forderungen der Gewerkschaften die Handlungsfähigkeit der Kommunen." dbb-Chef Ulrich Silberbach, der mit Werneke am Verhandlungstisch sitzt, sagte damals: "Das werden sicher wieder lange Nächte."

Erzieherinnen, Busfahrer und Feuerwehrleute

Die Gewerkschaften verhandeln in einem Potsdamer Hotel für etliche Berufszweige - unter anderem für Frauen und Männer, die als Erzieher, Busfahrer, Angestellte von Bädern, Feuerwehrleute, Kranken- und Altenpfleger, Verwaltungsangestellte, Klärwerksmitarbeiter, Förster oder Ärzte arbeiten.

Bei den Verhandlungen sind auch die Spitzenvertreterinnen und

-vertreter anderer Gewerkschaften wie GEW oder GdP vertreten, für die

Verdi mitverhandelt. Der dbb beamtenbund und tarifunion verhandelt für seine Einzelgewerkschaften mit, die ebenfalls teils in Potsdam vertreten sind.

Das bisher letzte Mal einigten sich beide Seiten nach der Forderung nach einem Einkommensplus von 10,5 Prozent etwa auf steuer- und abgabenfreie Sonderzahlungen von insgesamt 3.000 Euro, einen Sockelbetrag von 200 Euro sowie anschließend 5,5 Prozent mehr. Während der Verhandlungen hatte Verdi regelmäßig Stadtverwaltungen, öffentliche Bäder, Müllabfuhren oder Krankenhäuser mit Warnstreiks lahmgelegt.

Werneke: Rot-Grün plus Union sollen noch Beschlüsse fassen

Gewerkschaftschef Werneke bedauert, dass die Koalition aus SPD, Grünen und SPD zerplatzt ist. "Es sind eine ganze Reihe von aus meiner Sicht wichtigen Gesetzgebungsverfahren sehr weit gediehen in der Vorbereitung." Er hoffe, dass in den verbleibenden Sitzungstagen des Bundestages noch Mehrheiten zustande kämen. "Dann vielleicht eher mit der Union, als mit der FDP."

Mehr Kommunen überschuldet

Vor der Tarifrunde mit Kommunen und Bund attestiert Werneke Städten und Gemeinden insgesamt stabile Einnahmen - aber: "Es gibt (...) mehr Kommunen, die in einer Überschuldungssituation sind als vor zwei Jahren." Bei anderen hänge alles von den jeweiligen Gewerbesteuereinnahmen ab.

"Wir haben erhebliche Probleme, derzeit akut sind über 500.000 Stellen im öffentlichen Dienst Bund, Länder und Kommunen nicht besetzt." Das spürten die verbliebenen Beschäftigten, aber auch die Arbeitgeber von Bund, Ländern und Kommunen. "Besonders viele Stellen sind nicht besetzt im Bereich Kitas."

Hunderttausende gehen in Rente

Mittlerweile klafften aber auch in vielen Verwaltungstätigkeiten Riesenlücken - ein Brennpunkt: die Ausländerbehörden. "In bestimmten Bereichen der Sozialen Arbeit in kommunaler Verantwortung sind viele, viele Stellen nicht besetzt", sagte Werneke. Und bis Ende dieses Jahrzehnts würden zudem 830.000 Beschäftigte den öffentlichen Dienst altersbedingt verlassen. Ohne attraktive Bedingungen und Entlohnung werde es "mehr Probleme" geben.

Seine Gewerkschaft sei auf alles vorbereitet. "Ob und in welchem Umfang wir Warnstreiks durchführen müssen, hängt vom Verhandlungsgeschehen ab." Viele zeigten auf Aktionen Verständnis: Es gehe darum, dass die Kita und das Gesundheitswesen in Zukunft ordentlich funktionierten und dass die Busse führen./bw/DP/zb