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BRASÍLIA (dpa-AFX) - Brasilien steht nach einem knappen Sieg des ehemaligen Staatschefs Luiz Inácio Lula da Silva bei der Präsidentenwahl vor unruhigen Zeiten. Der linke Ex-Präsident schlug den rechten Amtsinhaber Jair Bolsonaro in der Stichwahl am Sonntag mit 50,9 Prozent zu 49,1 Prozent, wie das Wahlamt in Brasília nach Auszählung der Stimmen bekanntgab. Bolsonaro erkannte seine Niederlage zunächst jedoch nicht an. Bereits vor der Entscheidung war befürchtet worden, dass es bei einem knappen Ausgang zu Gewalt kommen könnte. Der offizielle Machtwechsel in Südamerikas größtem Land soll am 1. Januar über die Bühne gehen.
Während Anhänger Lulas den Sieg feierten, kam es bereits zu ersten Protesten. Ein 27 Jahre alter Lula-Anhänger wurde bei Feiern in einem Lokal der Stadt Belo Horizonte erschossen. Zudem gab es vier Verletzte, wie örtliche Medien unter Berufung auf die Militärpolizei berichteten. In dem Lokal hatten sowohl Anhänger Lulas als auch Bolsonaros die Stimmenauszählung verfolgt. Offen blieb zunächst, ob die Tat einen politischen Hintergrund hat. Der alkoholisierte Schütze wurde festgenommen.
Lula kündigte in einer ersten Rede nach der Wahl an, das extrem gespaltene Land versöhnen zu wollen. "Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren", sagte der 77-Jährige in Sao Paulo. "Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk." Nun sei der Moment gekommen, den Frieden wieder herzustellen. Lula wird das Amt des Präsidenten nach einer Übergangszeit von zwei Monaten zum Jahreswechsel übernehmen. Der frühere Gewerkschafter hatte Brasilien bereits von Anfang 2003 bis Ende 2010 regiert. Er ist der erste demokratisch gewählte Präsident Brasiliens, der in eine dritte Amtszeit geht.
Auf Twitter veröffentlichte Lula am Sonntag ein Bild der brasilianischen Flagge. Darüber stand "Demokratie." Tausende Anhänger des Kandidaten der Arbeiterpartei (PT) feierten seinen Sieg auf der Prachtstraße Avenida Paulista in der Millionenmetropole Sao Paulo.
Die Wahl hat auch international große Bedeutung. Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle. Zudem ist Brasilien mit seinen enormen natürlichen Ressourcen, dem hohen Anteil an grüner Energie und der großen Agrarwirtschaft ein potenziell wichtiger Handelspartner.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gratulierte Lula und schrieb auf Twitter, er freue sich auf eine "enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit" insbesondere in Fragen von Handel und Klimaschutz. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, die Wahl habe einen Sieger, aber mehrere Gewinner - darunter die brasilianische Demokratie und das Weltklima. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beglückwünschte den Linkspolitiker zur Wahl.
Der französische Präsident Emmanuel Macron schrieb auf Twitter: "Es wird ein neues Kapitel in der Geschichte Brasiliens aufgeschlagen." Man wolle das Band der Freundschaft erneuern. Macron war in den vergangenen Jahren mit Bolsonaro vor allem in der internationalen Umweltpolitik heftig aneinandergeraten.
Verbündete des Amtsinhabers erkannten Lulas Wahlsieg im Gegensatz zu Bolsonaro bereits an. Bolsonaro hatte zuvor schon mehrfach Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht zu akzeptieren. Seit der Lockerung der Waffengesetze in seiner Amtszeit haben viele seiner Unterstützer ordentlich aufgerüstet. Erst am Samstag verfolgte eine Abgeordnete von Bolsonaros Liberalen Partei (PL) einen Mann nach einem Streit mit vorgehaltener Waffe.
In mehreren Bundesstaaten protestierten Lkw-Fahrer gegen den Wahlsieg Lulas, wie die Zeitung "Folha de S. Paulo" unter Berufung auf die Polizei berichtete. Auf Videos waren brennende Reifen zu sehen. Bolsonaro-Anhänger mit Brasilien-Flaggen riefen dazu auf, die Autobahnen des Landes zu blockieren. Eeinige forderten ein Eingreifen des Militärs.
Die Präsidentenwahl hat die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas extrem gespalten. "Ich bin zuversichtlich, dass wir einen Ausweg finden werden, damit dieses Land wieder demokratisch und harmonisch leben kann", sagte Lula in seiner Rede. "Wir können sogar den Frieden zwischen denen, deren Meinungen auseinander gehen, wiederherstellen."
Der ohnehin erbittert geführte Wahlkampf war im Endspurt immer schmutziger geworden. Die Brasilianer wurden in sozialen Medien und Whatsapp-Gruppen von einer Flut von Falschinformationen überschwemmt. In den Fernsehdebatten überzogen sich Lula und Bolsonaro gegenseitig mit Vorwürfen.
Viele Anhänger verbinden Lula mit den goldenen Zeiten Brasiliens, als die Wirtschaft aufgrund hoher Rohstoffpreise boomte und die Regierung mit Hilfe von Sozialprogrammen Millionen Menschen aus der bittersten Armut holte. Für seine Gegner hingegen ist Lula verantwortlich für Korruption und Vetternwirtschaft.
2018 wurde Lula wegen Korruption und Geldwäsche zu einer langen Haftstrafe verurteilt und verbrachte 580 Tage im Gefängnis. Im vergangenen Jahr hob ein Richter am Obersten Gerichtshof das Urteil aus formalen Gründen auf. Lula erhielt seine politischen Rechte zurück und kehrte auch wieder auf die politische Bühne zurück.
Die Unterstützer Bolsonaros sehen ihren Staatschef als Verteidiger traditioneller Familienwerte und wirtschaftlicher Freiheit und als Bollwerk gegen den angeblich drohenden Kommunismus. Allerdings stieß er mit vulgären Ausfällen gegen Frauen, Homosexuelle und Indigene auch viele Menschen vor den Kopf. Durch seine Blockade beim Klimaschutz, seine eigenwillige Corona-Politik und seine Angriffe auf demokratische Institutionen wie den obersten Gerichtshof isolierte er Brasilien auf der Weltbühne./mfa/DP/zb