(neu: Habeck, Äußerungen aus dem Umfeld des Unternehmens, Schlusskurs)
MÜNCHEN/BERLIN (dpa-AFX) - Der kriselnde Energietechnikkonzern Siemens Energy könnte Milliardengarantien vom Bund bekommen. Man führe Vorgespräche mit unterschiedlichen Parteien, darunter Partnerbanken und der Bundesregierung, erklärte das Unternehmen am Donnerstag und bestätigte damit entsprechende Berichte. Ziel sei es, "den Zugang zu einem wachsenden Volumen an Garantien sicherzustellen, die das erwartete starke Wachstum ermöglichen".
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bestätigte, dass es seit Monaten immer wieder intensive Gespräche mit dem Unternehmen gebe. Die Intensität habe sich in den vergangenen beiden Wochen "noch einmal verstärkt", sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag am Rande eines Besuchs in der türkischen Hauptstadt Ankara. "Und das sind gute konstruktive Gespräche. Wir wissen, wo der Konzern steht, und der Konzern weiß, wo die Bundesregierung steht." Details wollte Habeck nicht nennen.
Laut "Wirtschaftswoche" soll es um Bürgschaften von bis zu 15 Milliarden Euro gehen. Das Magazin beruft sich dabei auf Finanzkreise. Auch der "Spiegel" berichtete über den Vorgang, nannte aber andere Summen. Siemens Energy
Im Umfeld des Unternehmens betont man: "Wir wollen kein Cash vom Staat. Es geht ausschließlich um Bürgschaften, die in der Praxis noch nie gebraucht wurden. Das Ganze ist wie eine Rückversicherung für die Banken."
Grundsätzlich sind Garantien bei teuren und langfristigen Großprojekten nicht ungewöhnlich. Sie sichern beispielsweise bereits geleistete Anzahlungen der Kunden oder Ausfallrisiken ab. Das läuft in der Regel über Banken. Bei Siemens Energy hat sich inzwischen aber ein riesiger Auftragsbestand angehäuft. Das macht auch ein großes Garantievolumen nötig. Hinzu kommt, dass der Konzern seit Jahren unter massiven Problemen in seinem Windkraftgeschäft leidet, die auch im abgelaufenen Geschäftsjahr für Milliardenverluste sorgen.
"Das enorme Tempo der Energiewende sorgt für eine hohe Nachfrage nach unseren Technologien, unser Auftragsbestand liegt bei 110 Milliarden Euro", sagte ein Konzern-Sprecher. "Diese an sich positive Entwicklung führt dazu, dass wir in größerem Ausmaß Garantien an unsere Kunden vergeben müssen. Das ist eine Herausforderung für alle Unternehmen." Man wolle daher Maßnahmen zur Stärkung der eigenen Bilanz ergreifen. Außerdem führe man "Gespräche mit der Bundesregierung, wie wir Garantiestrukturen im schnell wachsenden Energiemarkt sicherstellen können". Habeck sprach von "hausgemachten Problemen".
Die Siemens-Energy-Aktie erlebte ein Kursdebakel. Das im Leitindex Dax notierte Papier fiel auf ein Allzeittief von unter sieben Euro. Eine leichte Erholung am Nachmittag mit einem Anstieg über die Marke von sieben Euro verpuffte jedoch. Die Aktie schloss tiefrot mit minus 35,5 Prozent auf 6,87 Euro. Es war bereits der zweite enorme Absturz für die Energy-Aktie im laufenden Jahr. Zuletzt war es im Juni nach dem Bekanntwerden der Qualitätsprobleme ähnlich stark nach unten gegangen.
"Bei den Themen Neuverschuldung und Finanzierungsprobleme reagieren die Börsianer derzeit sehr allergisch und nehmen sofort Abstand von dem Unternehmen", sagte etwa Marktexperte Andreas Lipkow. Zum aktuellen Kurssturz trugen auch Sorgen von Analysten bei, dass es zu einer Kapitalerhöhung kommen könnte. So wollte Simon Toennessen vom Analysehaus Jefferies einen solchen Schritt "nicht gänzlich" ausschließen. Auch JPMorgan-Analyst Akash Gupta von der sieht das Risiko einer Kapitalerhöhung steigen.
Die bestätigten Verhandlungen des Energietechnik-Herstellers mit dem Bund über mögliche Bürgschaften habe in einem bereits besorgten Aktienmarkt zu weiterer Verunsicherung beigetragen, notierte Barclays-Analyst Vladimir Sergievskiy. Dass die Finanzergebnisse für 2023 aber im Rahmen der Prognose liegen dürften, bedeute - zumindest fürs Erste - keine weiteren größeren Abschreibungen.
Allerdings warnte Siemens Energy, dass die Geschäfte bei seiner problembeladenen Windkrafttochter auch im kommenden Jahr schlechter als vom Markt erwartet laufen könnten. Bereits im abgelaufenen Geschäftsjahr hat diese Energy mehrere Milliarden tief in den Verlust gerissen. Die genauen Zahlen für 2023 werden erst im November erwartet. Energy betonte am Donnerstag aber, dass sie sich voraussichtlich vollständig im Rahmen der Prognose befänden.
Siemens Energy kämpft seit Jahren mit Problemen in seiner Windkraftsparte, die immer wieder für Gewinnwarnungen und rote Zahlen sorgt, zuletzt durch Qualitätsprobleme bei Windrädern an Land. Für bestimmte Anlagen an Land nimmt Energy deswegen vorerst keine weiteren Aufträge an.
Andere Geschäftsfelder laufen dagegen gut, unter anderem für die Übertragung von Strom über weite Strecken gingen zuletzt immer wieder Milliardenaufträge ein. Siemens Energy liefert dabei riesige Wandler, die Wechselstrom für einen verlustarmen Transport über lange Strecken in Hochspannungs-Gleichstrom wandeln - und danach wieder in Wechselstrom für die gängigen Hochspannungsnetze./ruc/DP/nas