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ERKELENZ (dpa-AFX) - Ein paar Minuten bleibt der maskierte Mann in drei Metern Höhe in dem dreibeinigen Gestell hängen, dann kommt er wieder runter: Das öffentliche Aktionstraining an einem zu Blockaden eingesetzten Tripod in Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler ist schon wieder zu Ende. Zuvor haben etwa 30 Demonstranten eine Sitzblockade geübt. Eng nebeneinander auf dem Boden, auf roten Kissen, die Arme miteinander verhakt rufen sie: "Kohlenstopp, Kohlenstopp". Nur etwa eine Viertelstunde dauert alles.

Mehrere Tausend Demonstranten waren zu einem Sonntagsspaziergang in den kleinen, für den dort konzentrierten Protest gegen den Kohleabbau bekannten Ortsteil der Stadt Erkelenz gekommen. Ein Aktionsbündnis "Lützerath unräumbar" führte auch Formen des zivilen Ungehorsams vor. Mittlerweile liegt Lützerath direkt an der Abbruchkante des riesigen Lochs, das der Tagebau in die Landschaft gräbt. Die Räumung wird in naher Zukunft erwartet.

Nach der Versammlung und einem Konzert schlug die Stimmung um, es kam nach Polizeiangaben zu Übergriffen. Die Veranstaltungsfläche sei von Aktivisten gestürmt worden, teilte die Polizei mit. Sicherheitskräfte und Polizeibeamte seien mit Steinen beworfen worden. Auch habe es Sachbeschädigungen und Eigentumsdelikte gegeben. Eine Person sei in Gewahrsam genommen worden.

Nordrhein-Westfalens Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur sagte der Deutschen Presse-Agentur, Gewalt als Mittel der Wahl, eigene Ziele durchzusetzen, könne sie überhaupt nicht akzeptieren. "Wer Einsatzkräfte bedroht oder gar verletzt, überschreitet eine Linie", sagte die Grünen-Politikerin. Gewalt sei immer die schlechteste aller Lösungen. "Deshalb bitte ich alle Beteiligten in und um Lützerath, sich friedlich zu verhalten und nicht an der Eskalationsschraube zu drehen", teilte Neubaur mit.

Die in dem Ort am Tagebau lebenden Aktivisten wollen eine Räumung möglichst lange verzögern und sich der Polizei entgegenstellen. "Wir hoffen, dass wir Lützerath sechs Wochen lang halten können", sagt Dina Hamid, Sprecherin der Initiative Lützerath Lebt. Derzeit seien etwa 700 Menschen vor Ort. Und sie erwarte weiteren Zulauf von Menschen. "Lützerath lebt und ist lebendiger als je zuvor", sagt die junge Frau.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer meint, die Politik habe nicht mit so viel Widerstand gegen den Abriss des Dorfes gerechnet. "Man merkt, dass anscheinend unterschätzt wurde, welche Kraft in diesem Ort steckt", sagte Neubauer am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur in Lützerath. "Hier zeigt eine Gesellschaft, dass sie versteht: Es geht um alles. Das Dorf hier ist überlaufen von Menschen, die aus der ganzen Republik angereist sind."

Der inmitten von Feldern liegende Weiler besteht nur noch aus wenigen Häusern. Die ursprünglichen Bewohner haben ihren Besitz verkauft und leben längst woanders. Der Ort gehört dem Energieunternehmen RWE . Seit etwa zwei Jahren haben sich Kohlegegner niedergelassen.

Mit der Tagebaubetreiberin RWE haben die grün geführten Wirtschaftsministerien in Bund und NRW einen auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg im Rheinland vereinbart. Fünf vom Abriss bedrohte Dörfer sollen erhalten blieben. Lützerath soll weichen, um die darunter liegende Kohle abzubauen. Sie werde für die Energieversorgung gebraucht, so der Energiekonzern.

Unter den Unterstützern des Protestes sind Jung und Alt vertreten. Viele kennen sich von den Demonstrationen am Hambacher Forst 2018 und bekämpfen seit langem die Stromgewinnung aus Braunkohle. Andere wollen in Lützerath selbstbestimmte, alternative Lebensformen ausprobieren. Mancher Aktivist kam mit einer Ausrüstung, als solle der Widerstand gleich losgehen: mit Trinkbecher am Rucksack, Handschuhen und maskiertem Gesicht.

Die Parteichefin der NRW-Grünen, Yazgülü Zeybek, ruft dazu auf, die Lage vor Ort nicht eskalieren zu lassen. "Gewalt in jeglicher Form ist nicht akzeptabel. Wir appellieren als Partei an alle Seiten, deeskalierend zu wirken und eine geordnete Räumung möglich zu machen", sagte Zeybek der "WAZ" (Montag).

In dem Symbolort für eine neue Klimapolitik gibt es Frust und Freude. Auf der Zufahrtsstraße steht auch eine völlig demolierte Schrottkarre quer im Weg. Dort machen fünf Aktivisten gute Stimmung mit Musik. "Bitte mitsingen - Keine Fotos" steht auf dem Schild, das eine schunkelnde Aktivistin im gelben Karnevalskostüm trägt. Denn Bilder könnten der Polizei beim Identifizieren helfen.

Die Polizei hatte sich den Tag über zurückgehalten. Weil es im Tagebau einen Wassereinbruch gab, musste ein neuer Ort für ein Konzert der Kölner Band AnnenMayKantereit gefunden werden. Die Polizei gab dafür ihren Parkplatz frei. Nach ihrer Einschätzung hatten etwa 2000 Teilnehmer an den Veranstaltungen in dem Ort am Tagebau teilgenommen. Die Veranstalter hatten eine höhere Zahl angegeben./uho/DP/nas