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LUXEMBURG (dpa-AFX) - Im Kampf gegen stark gestiegene Migration über den Balkan erhöht die Europäische Union den Druck auf Serbien und andere Staaten. "Serbien muss jetzt die Visa-Praxis ändern, nicht irgendwann, sondern jetzt", forderte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Freitag am Rande eines EU-Treffens in Luxemburg. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson kündigte an, in Gesprächen mit den Balkanstaaten noch stärker darauf zu dringen. Sollten sie sich nicht kooperativ zeigen, schloss die Schwedin nicht aus, ihnen die Visa-Freiheit für den Schengen-Raum zu entziehen.

Die Zahl jener Menschen, die derzeit in der EU Schutz suchen, ist hoch, Vergleiche mit der Fluchtbewegung 2015/16 kommen auf. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass der Großteil der Menschen aus der von Russland angegriffenen Ukraine stammt. In Deutschland kamen bereits mehr als eine Millionen Ukrainer an, wobei unklar ist, wie viele von ihnen das Land wieder verlassen haben. Dennoch ächzen Städte und Gemeinden. Und zusätzlich steigt die Zahl derer, die zuletzt über den Westbalkan in die EU kamen.

Nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex wurden im September 19 160 irreguläre Einreisen auf dieser Route registriert, zu der auch das Nicht-EU-Land Serbien gehört. Das sind doppelt so viele wie im Vorjahresmonat. Zwar kommen die meisten Migranten den Angaben zufolge aus Syrien und Afghanistan. Aus einem EU-Dokument, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, geht jedoch hervor, dass auch andere Nationen eine wesentliche Rolle spielen. Und an dieser Stelle kommen Serbien, die anderen Balkan-Länder und ihre Visa-Politik ins Spiel.

So registrierten die Behörden in den ersten acht Monaten des Jahres beispielsweise knapp 4500 irreguläre Grenzübertritte von Menschen aus Indien. Im Gesamtjahr 2021 waren es rund 550. Auch die Zahl der Grenzübertritte von Menschen aus Tunesien, Kuba oder Burundi stieg deutlich, zum Teil jedoch auf niedrigerem Niveau. Menschen aus all diesen Ländern brauchen für die Einreise nach Serbien kein Visum. Von Serbien aus schlagen sie sich dann in die EU durch - oft bis nach Deutschland oder Österreich.

Im Vergleich mit Syrien (43 567) und Afghanistan (16 237) sind die Zahlen zwar recht niedrig, doch der Zuwachs ist deutlich. "Im Jahr 2021 machten Migranten aus der Türkei, Tunesien, Indien, Kuba und Burundi 2,5 Prozent aller irregulären Grenzübertritte auf der Westbalkanroute aus und im Jahr 2022 bisher 20 Prozent", heißt es in dem EU-Papier. Von einer Situation wie 2015 sei man mit Blick auf die Balkanroute jedoch weit entfernt, betonen Migrationsforscher.

Faeser machte dennoch deutlich, was sie von Serbiens Visa-Politik hält: nicht viel. Diese sei "nicht sehr schön", weil sie sich daran orientiere, welche Staaten den Kosovo nicht anerkennen. "Das finde ich auch nicht akzeptabel." Tatsächlich ist die serbische Visa-Politik eng verknüpft mit dem - völkerrechtlich fragwürdigen - Anspruch Serbiens auf das fast ausschließlich von Albanern bewohnte Kosovo. Belgrad revanchiert sich bei Ländern, die die seit 2008 unabhängige ehemalige serbische Provinz nicht anerkennen oder ihre Anerkennung zurückgezogen haben.

So brauchen Reisende aus Indien seit 2017 kein Visum für Serbien. Burundi zog 2018 seine Anerkennung des Kosovo zurück, woraufhin Serbien die Visumspflicht für Bürger aus dem Land abschaffte. Die Visa-Politik anderer Westbalkan-Länder wie Albanien oder Montenegro weicht dem EU-Dokument zufolge ebenfalls von der der EU ab, jedoch in geringerem Ausmaß.

Was also tun, damit weniger unerwünschte Migranten in die EU kommen? Einige EU-Länder haben bereits Fakten geschaffen. So führte Tschechien vor gut zwei Wochen Kontrollen an seiner Grenze zur Slowakei ein. Mehr als 2500 illegal einreisende Migranten und mehr als 50 Schleuser haben die Beamten bereits aufgegriffen. Die Slowakei führte wiederum Kontrollen an der Grenze zu Ungarn ein, Österreich an der Grenze zur Slowakei. Und das, obwohl stationäre Grenzkontrollen im Schengen-Raum eigentlich die Ausnahme sein sollen. Deutschland kontrolliert ohnehin an der Grenze zu Österreich.

In Tschechien kam es bereits zu dramatischen Szenen: In der Region Zlin gaben Polizisten Warnschüsse ab, um einen flüchtenden Schleuser zu stoppen. Anfang Oktober wurden sechs Flüchtlinge schwer verletzt, als ihr Schleusertransporter bei einer Verfolgungsfahrt mit der Polizei verunglückte.

Es muss also etwas geschehen, darüber waren sich die Innenminister in Luxemburg weitgehend einig. Innenkommissarin Johansson zufolge soll es mehr Außengrenzschutz geben und enger mit den Westbalkan-Ländern etwa bei Rückführungen und gegen Schmuggel zusammengearbeitet werden. Immerhin etwas Bewegung gab es auch von Seiten Serbiens schon. Präsident Aleksandar Vucic stellte eine Änderung der Visapolitik bis Jahresende in Aussicht - nannte allerdings keine konkreten Schritte.

Johansson wurde nach dem Treffen am Freitag etwas konkreter: Man habe das Versprechen Serbiens, dass das Land zunächst die Visa-Politik angleichen werde - zunächst gegenüber besonders relevanten Ländern wie Indien, Burundi und Tunesien. Dabei werde man eng mit Serbien und den anderen Westbalkan-Staaten zusammenarbeiten. Sie erwarte, dass diese ihre Politik an die der EU anpassten - und das werde voraussichtlich auch geschehen.

Die besseren Argumente in den Gesprächen mit Serbien liegen ohnehin bei der EU, wie Faeser befand, schließlich strebe das Land in den Staatenbund. Allerdings hat dies Belgrad bislang auch nicht dazu gebracht, sich den von der EU beschlossenen Sanktionen gegen Russland wegen des Kriegs gegen die Ukraine anzuschließen. Faeser verwies auf eine Balkan-Konferenz kommende Woche in Berlin, an der auch Serbien teilnehmen werde. Der tschechische Innenminister Vit Rakusan forderte: "Serbien muss uns helfen."/wim/DP/zb