(Neu: Äußerungen aus der Jahrespressekonferenz zur aktuellen Auftragslage und Mittelfristziele im 1., im 8. und im letzten Absatz, Kursentwicklung aktualisiert)

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Wacker Chemie rechnet in einem für die gesamte Branche weiterhin schwierigen Umfeld mit deutlichen Einbußen im Jahr 2023. In den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres sei die Nachfrage in einer Vielzahl von Abnehmerbranchen zurückgegangen, teilte der MDax-Konzern am Dienstag bei der Vorlage des Geschäftsberichts für 2022 mit. Im Jahresverlauf sollte sich die Nachfrage - bei niedrigeren Verkaufspreisen - erholen. Dabei setzt das Unternehmen auf Geschäfte mit margenstarken Spezialprodukten. In Summe sehe es im März mit Blick auf die Bestellungen schon besser aus als noch im Januar und Februar, hieß es. Nach einem Rekordjahr 2022 soll die Dividende zudem kräftig steigen.

Der Geschäftsbericht von Wacker Chemie biete Optimisten und Pessimisten Stoff, sagte ein Händler in einer ersten Reaktion. So dürften Dividendenjäger angelockt werden, während der eher wenig inspirierende Ausblick auf dem Aktienkurs lasten könnte. Die Aktie fiel am Vormittag auch zunächst deutlich, berappelte sich dann aber und drehte ins Plus. Gegen Mittag führte sie dann den Index der mittelgroßen Werte MDax mit einem Plus von gut vier Prozent auf 151,90 Euro an. Damit nahmen sie wieder Kurs auf ihr Ende Februar bei fast 162 Euro erreichtes Hoch seit Juni 2022. Für das noch junge Börsenjahr 2023 steht nun wieder ein Plus von 27 Prozent zu Buche.

Das Unternehmen will die Ausschüttung je Aktie um die Hälfte auf 12 Euro anheben. Damit werden die Anteilseigner an der starken Geschäftsentwicklung aus dem vergangenen Jahr beteiligt, da der Konzern in der Regel rund 50 Prozent des Jahresergebnisses ausschüttet. Und das war im vergangenen Jahr um mehr als die Hälfte auf knapp 1,3 Milliarden Euro gestiegen, wie seit der Veröffentlichung vorläufiger Zahlen im Januar bekannt ist. Der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) legte 2022 um gut ein Drittel auf etwa 2,1 Milliarden Euro zu, bei einem Umsatzwachstum um knapp ein Drittel auf 8,2 Milliarden Euro.

Dabei bekam das Unternehmen aber bereits insbesondere zum Jahresende hin die Zurückhaltung der Kunden zu spüren. Die gesamte Branche litt unter einem Abbau teils zu hoher Lagerbestände sowie unter dem tristen Konjunkturumfeld. Das machte sich vor allem im Geschäft mit Silikonen bemerkbar - vielseitig einsetzbare Kunststoffe, die etwa in der Elektronikindustrie, der Baubranche, bei Textilherstellern, Medizintechnikunternehmen und Autobauern gefragt sind.

"Die Dynamik der Weltwirtschaft hat sich deutlich abgeschwächt", sagte Konzernchef Christian Hartel laut Mitteilung. "Das wirtschaftliche und politische Umfeld weltweit bleibt volatil. Die hohen Preise für Energie, insbesondere in Europa, belasten weiter unser Geschäft." Gerade die Bauindustrie schwächelt. Hohe Zinsen verteuern die Finanzierung und die hohe Inflation hat die Baukosten in die Höhe getrieben, viele Projekte liegen auf Eis. In der Textilindustrie erwartet Wacker Chemie allerdings nach einem Nachfragerückgang Ende des vergangenen Jahres für 2023 eine Trendwende.

Wachsen will das Unternehmen derweil im Geschäft mit Spezialprodukten, also abseits der Massenware. "Dies gilt besonders für Anwendungen im Energiesektor, in der Elektromobilität, in der Pharmaindustrie und in der Medizintechnik sowie bei der Herstellung von Etiketten", heißt es im Geschäftsbericht. Bei letzterem komme das Wachstum des Versandhandels zum Tragen. Und der Ausbau des 5G-Mobilfunks und Trends wie künstliche Intelligenz steigerten die Nachfrage der Elektroindustrie nach Gasen und hochreinen Silanen. Das sind Stoffe, die unter anderem Farben, Dichtstoffen und Wasserschutzmitteln beigemischt werden, aber auch in Isolierschichten für Halbleiter-Komponenten genutzt werden.

Alles in allem dürften der Umsatz 2023 auf 7 bis 7,5 Milliarden Euro sinken und das operative Ergebnis (Ebitda) auf 1,1 bis 1,4 Milliarden Euro fallen. Das wäre bei den Erlösen ein Minus von bis zu knapp 15 Prozent und beim operativen Gewinn um bis zu fast der Hälfte. Die durchschnittlichen Analystenschätzungen liegen beim Umsatz eher am unteren Ende der Spanne, beim Gewinn eher am oberen.

Im ersten Quartal dürfte das operative Ergebnis dabei besonders unter Druck geraten und auf 250 bis 280 Millionen Euro fallen, nach 644 Millionen Euro vor einem Jahr. Dabei schwächelt vor allem das Geschäft mit dem Solar- und Halbleiterindustrie-Grundstoff Polysilizium, gerade das Geschäft mit der Solarindustrie läuft aktuell nicht rund. Zum Ende des Auftaktquartals hin sei es auf der Auftragsseite aber schon in Teilen besser als noch direkt nach dem Jahreswechsel gelaufen, erklärte das Management während der Jahrespressekonferenz. Allerdings bestellten viele Kunden immer noch sehr kurzfristig, weil sie die Nachfrage nach ihren Produkten selbst nur schwer einschätzen könnten im aktuellen Umfeld.

Auch daher richtet das Unternehmen den Fokus bei Investitionen eher auf das Geschäft mit hochreinem Polysilizium für Halbleiterbranche, die daraus Elektronikchips herstellt. Zugleich steckt das Unternehmen viel Geld in den Ausbau des Geschäfts mit Spezialchemikalien und mit Biotech-Produkten rund um mRNA-Impfstoffe und -Medikamente. Insgesamt sollen die Investitionen 2023 auf rund 650 Millionen Euro steigen.

Diese Ausgaben sollen das Wachstum mittelfristig antreiben. Wacker hält denn auch an dem vor einem Jahr ausgegebenen Ziel fest, 2030 einen Umsatz von mehr als zehn Milliarden Euro zu erwirtschaftet, wovon dann mehr als ein Fünftel als operatives Ergebnis hängen bleiben soll. Allerdings erscheine das Umsatzziel nicht mehr so konservativ wie bei der Ausarbeitung, sagte Wacker-Chemie-Chef Hartel auf der Jahrespressekonferenz./mis/nas/ngu