(neu: Russische Aufrüstungspläne, Patriots)

WASHINGTON (dpa-AFX) - Zum ersten Mal seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist deren Präsident Wolodymyr Selenskyj ins Ausland gereist - zum wichtigsten Verbündeten nach Washington, um dort US-Präsident Joe Biden zu treffen. Bereits vor dem Treffen am Mittwoch gaben die USA die Lieferung neuer Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot frei. Der Kreml warnte indes vor einer Verschärfung des Konflikts - und kündigte eine weitere Aufrüstung der russischen Armee an: mit mehr Geld, mehr Soldaten und moderneren Waffensystemen. Selenskyj betonte, Ziel seines Besuchs in Washington sei die Stärkung der Stabilität und Verteidigungsfähigkeit der Ukraine. Er wollte auch eine Rede vor dem US-Kongress halten.

Russland kritisierte die USA-Reise Selenskyjs und die angekündigten neuen Waffenlieferungen. "Das alles führt zweifellos zu einer Verschärfung des Konflikts und verheißt an sich nichts Gutes für die Ukraine", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Er erwarte nicht, dass Selenskyj nach seiner Reise verhandlungsbereiter gegenüber Moskau sein werde.

Parallel zu Selenskyjs Flug in die USA sprach Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau bei einer erweiterten Sitzung des Verteidigungsministeriums. Dort verlangte er ein höheres Tempo bei der Aufrüstung und Modernisierung der Streitkräfte. Als Beispiel nannte der Kremlchef den Einsatz von Drohnen - bisher ein Schwachpunkt der russischen Streitkräfte. Außerdem werde die mit Atomsprengköpfen bestückbare neue Interkontinentalrakete vom Typ Sarmat bald einsatzbereit sein. Für die weitere Aufrüstung der Armee gebe es "keine finanziellen Beschränkungen", sagte Putin weiter.

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu schlug vor, die Truppe um rund 350 000 Soldaten auf 1,5 Millionen Mann zu verstärken. Außerdem forderte er die Aufstellung neuer Einheiten im Nordwesten Russlands an der Grenze zu den potenziellen neuen Nato-Staaten Schweden und Finnland.

Seit Kriegsbeginn am 24. Februar hatte Selenskyj sein Land nicht verlassen. Für Auftritte auf der politischen Weltbühne - etwa beim G7-Gipfel im bayerischen Elmau - ließ er sich stets digital aus der Ukraine zuschalten. Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sprach Selenskyj in einem Schreiben "Respekt und Bewunderung für seine außergewöhnliche Führungsstärke" aus. Der Kampf der Ukraine sei der Kampf für die Demokratie selbst. Selenskyj hatte bereits im März eine Videoansprache vor dem US-Kongress gehalten. Damals forderte er - vergeblich - die Einrichtung einer Flugverbotszone zum Schutz der Ukraine.

Als Teil eines neuen Militärhilfe-Pakets in Höhe von 1,85 Milliarden US-Dollar (rund 1,7 Milliarden Euro) wird die US-Regierung der Ukraine erstmals das Patriot-Flugabwehrsystem liefern, teilte das US-Außenministerium mit. Damit steigt die gesamte US-Militärhilfe für die Ukraine seit Beginn der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden demnach auf 21,9 Milliarden US-Dollar (rund 20,6 Milliarden Euro).

Die frühere Sowjetrepublik hatte wegen der russischen Raketenangriffe auf ihre Städte und die Infrastruktur der Energieversorgungs um weitere Flugabwehrsysteme gebeten. Das Luftverteidigungssystem dürfte die Karten in dem Krieg nach Überzeugung von Experten neu mischen. Es kann Flugzeuge, Marschflugkörper, Drohnen und Raketen in Entfernung von etwa 100 Kilometern und bis in Höhen von 30 Kilometern abwehren. Ein US-Regierungsvertreter sagte, die ukrainischen Truppen würden in einem Drittland ausgebildet. Weitere Angaben dazu machte er nicht. Naheliegend ist, dass ukrainische Soldaten - wie auch bei anderen Waffensystemen schon praktiziert - in Deutschland ausgebildet werden, beispielsweise auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern.

Moskau warnte Washington schon vergangene Woche vor einer Patriot-Lieferung, nachdem es Berichte über entsprechende Pläne der US-Regierung gegeben hatte: Wie andere schwere Waffen auch würden diese für die russischen Streitkräfte zu "rechtmäßigen vorrangigen Zielen", hieß es. Die USA liefern bereits Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars und das Flugabwehrsystem Nasams in die Ukraine.

"Wir sind nicht auf einen direkten Krieg mit Russland aus", sagte der US-Regierungsvertreter. Und daran werde sich auch mit Selenskyjs Besuch und der Lieferung der Patriot-Batterie nichts ändern. "Es geht darum, eine Botschaft an Putin und an die Welt zu senden, dass Amerika für die Ukraine da sein wird, solange es nötig ist." Der Besuch sei auch eine gute Möglichkeit für den ukrainischen Präsidenten, sich an das amerikanische Volk zu wenden.

Am Dienstag hatten sich Republikaner und Demokraten im US-Kongress auf einen Haushaltsentwurf geeinigt, der auch milliardenschwere Militärhilfen enthält. Das Paket mit einem Volumen von 1,7 Billionen US-Dollar sieht unter anderem 44,9 Milliarden US-Dollar Hilfen für die Ukraine vor. Rund 19 Milliarden davon sind allerdings dafür vorgesehen, die Munitionsbestände und Lager des US-Militärs nach den Transfers an die Ukraine wieder aufzufüllen sowie für die Finanzierung zusätzlicher Aufwendungen der US-Truppen in Europa.

Es ist nun Selenskyjs zweiter Besuch im Weißen Haus seit Bidens Amtsantritt. Zuletzt hatte Biden ihn im Sommer 2021 empfangen. Die US-Regierung hatte früh öffentlich vor einem Angriff Russlands auf die Ukraine gewarnt und sich dabei auf Geheimdienstinformationen berufen. Seit dem Einmarsch in die Ukraine haben die USA und ihre Verbündeten Russland mit harten Sanktionen belegt.

Dem Weißen Haus zufolge sprachen Biden und Selenskyj während eines Telefonats Mitte Dezember erstmals über einen möglichen Besuch in Washington. Später sei dann eine offizielle Einladung erfolgt./trö/DP/stw