(neu: Fragen & Antworten nach Urteil aktualisiert.)
KARLSRUHE (dpa-AFX) - Einst Verkaufsschlager - nun Ärgernis: Seit Jahren gibt es Streit um Prämiensparverträge, die Sparkassen und Volksbanken mit Hunderttausenden Kunden abschlossen. Dass Geldhäuser in vielen Fällen die Zinssätze einseitig zu ihren Gunsten ändern konnten, hat der Bundesgerichtshof (BGH) bereits vor 20 Jahren für rechtswidrig erklärt. Nicht höchstrichterlich geklärt war lange die Frage, wie die Zinsen für diese Produkte zu berechnen sind. Der BGH hat nun in einem Urteil erstmals einen Referenzzins für die Nachberechnung der Zinsen bestätigt.
Was ist ein Prämiensparvertrag?
Sparerinnen und Sparer erhalten bei diesem Produkt zusätzlich zum variablen Zins eine Prämie, die meist nach Vertragslaufzeit gestaffelt ist. Je länger regelmäßige Sparbeiträge eingehen, umso höher fällt die Prämie aus. Solche Sparverträge wurden in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre vertrieben - vor allem von Sparkassen ("Vorsorgesparen", "Vermögensplan"), aber auch von Volks- und Raiffeisenbanken ("Bonusplan", "VRZukunft").
Warum sind Prämiensparverträge umstritten?
In vielen dieser Verträge gibt es Klauseln, die Geldhäusern einseitig das Recht einräumen, die zugesicherte Verzinsung zu ändern - etwa: "Der jeweils gültige Zinssatz wird durch Aushang bekanntgegeben." Die Bank konnte den Zins so zum eigenen Vorteil anpassen. Anhand der Prüfung Tausender Verträge kamen Verbraucherzentralen zu dem Ergebnis, dass Sparer deswegen im Schnitt etwa 4.000 Euro zu wenig Zinsen erhalten haben.
Wie haben Gerichte bisher entschieden?
Seit mehr als zwei Jahrzehnten beschäftigten sich Gerichte mit Prämiensparverträgen und deren Verzinsung. Der BGH entschied bereits 2004, dass Vertragsklauseln rechtswidrig waren, mit denen sich Sparkassen eine Senkung ihrer Zinsen nach Belieben erlaubten. Seither wird gestritten, wie hoch die Verzinsung hätte sein sollen. 2021 bestätigte der BGH frühere Urteile, wonach viele Altverträge von Sparkassen unzulässige Klauseln enthalten.
Wie sollen die Zinsen berechnet werden?
Im April 2022 legte das Oberlandesgericht Dresden in einem Einzelfall erstmals einen Referenzzins fürs Prämiensparen fest: die Umlaufrendite börsennotierter Bundeswertpapiere mit 8 bis 15 Jahren Restlaufzeit. Zugleich sprach sich das OLG gegen die Nutzung des sogenannten gleitenden Durchschnitts bei der Zinsberechnung aus, der anhand aktueller und historischer Geld- und Kapitalmarktzinsen ermittelt wird. Es folgten Anfang 2023 vergleichbare Urteile des OLG Naumburg und des OLG Dresden in Massenverfahren, die der BGH nun bestätigte.
Was hatten Verbraucherschützer gefordert?
Der BGH hat am Dienstag zu einer Klage der Verbraucherzentrale Sachsen und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen gegen zwei Sparkassen entschieden, die entsprechende Prämiensparverträge mit Kundinnen und Kunden abgeschlossen hatten. Die Verbraucherschützer wollten unter anderem vom BGH feststellen lassen, dass die Zinsen auf Basis der letzten zehn Jahre von Umlaufrenditen inländischer Hypothekenpfandbriefe mit einer garantierten Restlaufzeit von 10 Jahren berechnet werden müssten. Sie forderten zudem gleitende Durchschnittswerte. Der BGH lehnte das wie schon die Vorinstanzen ab.
Wie viele Kunden sind betroffen?
Im Jahr 2021 gab es etwa 1,1 Millionen Prämiensparverträge in Deutschland, aktuellere Zahlen liegen der Finanzaufsicht Bafin nicht vor. Seither dürfte die Zahl deutlich gesunken sein, weil Institute - soweit rechtlich möglich - teilweise ganze Vertragsjahrgänge kündigten. Bei laufenden Verträgen fließen Zinsnachzahlungen nicht automatisch. Verbraucherzentralen machen seit Jahren mit Musterfeststellungsklagen Druck. Allein die Verbraucherzentrale Sachsen führt neun solcher Verfahren, denen sich 6000 Verbraucher angeschlossen haben.
Dürfen Geldhäuser Prämiensparverträge kündigen?
"Je länger Sie sparen, desto höher steigt Ihre Prämie", so warben einst Sparkassen für Produkte wie das "S-Prämiensparen flexibel". Und versprachen: "Sie alleine bestimmen, wie lange Sie sparen wollen." Doch in der Niedrigzinsphase, die erst im Sommer 2022 endete, versuchten viele Institute, sich der Altverträge zu entledigen. Denn weil viele Sparerinnen und Sparer schon seit Jahren einzahlen, stehen ihnen vergleichsweise hohe jährliche Prämien zu. Das war für die Institute gerade in Zeiten von Null- und Negativzinsen teuer.
Auch der Streit um Kündigungen von Prämiensparverträgen ging bis vor den BGH. Der entschied im Mai 2019: "Der Sparvertrag darf nicht vor Erreichen der höchsten Prämienstufe gekündigt werden." Sparer müssen die maximal mögliche Prämie also mindestens einmal mitnehmen dürfen. Danach läuft der Vertrag zwar weiter, kann aber jederzeit einseitig gekündigt werden.
Wie können Verbraucher ihre Rechte durchsetzen?
Das Urteil des BGH gibt eine allgemeine Tendenz vor. Durchsetzen müssen es die einzelnen Betroffenen jeweils individuell bei ihrer Bank. "Sparkassen müssten nicht zwingend reagieren, sondern könnten auf Individualklagen warten", sagt der Referatsleiter Recht bei der Verbraucherzentrale Sachsen, Michael Hummel. "Ich halte es jedoch für wenig wahrscheinlich, dass die Institute das aussitzen, denn es stehen schon diverse Rechtsdienstleister in den Startlöchern, um die Ansprüche der Verbraucher durchzusetzen."
Verjähren Ansprüche irgendwann?
Wer sich keiner Musterklage angeschlossen hat, kann seine Bank unter Berufung auf bereits ergangene BGH-Urteile auffordern, die Zinsen des Sparvertrages neu zu berechnen. Im Fall eines gekündigten Vertrages müssen Ansprüche nach vorherrschender Rechtsmeinung aber binnen drei Jahren angemeldet werden, damit sie nicht verjähren./ben/DP/men
--- Von Jörn Bender und Jacqueline Melcher, dpa ---