KOUROU (dpa-AFX) - Europäische Raumfahrtexperten bewerten den Jungfernflug der neuen Rakete Ariane 6 als Erfolg - auch wenn am Ende die erneute Zündung eines Triebwerks nicht wie geplant funktionierte. Mit ihr hat Europa nun wieder selbst die Möglichkeit, Satelliten, Sonden und andere Experimente ins Weltall zu bringen.

Die Rakete startete am Dienstag gegen 21.00 Uhr deutscher Zeit am europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana unter den gebannten Blicken zahlreicher Beteiligter und Raumfahrtbegeisterter. Gut eine Stunde später verkündete die europäische Raumfahrtbehörde Esa dann den Erfolg des Flugs, nachdem die Rakete mehrere Satelliten ausgesetzt hatte.

Oberer Teil kann nicht wie geplant verglühen und bleibt im All

Am Ende des Flugs sollte in einer sogenannten Testphase ein Triebwerk im oberen Teil der Rakete erneut zünden und diesen Teil quasi umdrehen. So sollte er wieder in die Erdatmosphäre eintreten und dabei verglühen - und weniger Weltraumschrott erzeugen. Weil die Wiederzündung nicht richtig klappte, verbleibt die sogenannte Oberstufe samt dem Aufsatz, in dem sich die Satelliten befanden, nun im All. Zudem wurden zwei Raumkapseln, die auch wieder in die Atmosphäre eintreten sollten, nicht abgetrennt. Sie werden nun mit der Oberstufe im All bleiben.

"Es ist eine große Überraschung, dass nur so wenig nicht funktioniert hat", bewertet der unabhängige Raumfahrt-Experte Martin Tajmar von der TU Dresden den Vorfall. Der gesamte Flug sei trotzdem als "großer Erfolg" einzuschätzen, denn 17 der 15 Nutzlasten wie Satelliten seien an den richtigen Ort gebracht worden. Nur die beiden Wiedereintrittsexperimente hätten nicht durchgeführt werden können, sagte der Professor für Raumfahrtsysteme.

Beim Testen kann etwas schiefgehen

Manche Dinge wie diese erneute Zündung könne man auf der Erde eben nicht richtig testen, erklärte Tajmar, der wie Manfletti nicht am Ariane-Projekt nicht beteiligt ist. Denn auf dem Boden habe man die Erdanziehungskraft, im Weltall nicht. "Dann wabert der Treibstoff da ein bisschen herum - das sind Dinge, die man nicht vorhergesehen hat." Dann sei natürlich im Weltraum niemand vor Ort, der eingreifen könne.

Auch Chiara Manfletti, Professorin für Raumfahrtantriebe an der TU München, schätzt die Mission als sehr erfolgreich ein. "Für einen Erstflug ist alles reibungslos gegangen." Am Ende sei eben noch etwas getestet worden, das sei nach dem Absetzen der Satelliten ein zweiter Aspekt des Flugs gewesen.

Raumfahrtbehörde feiert

"Heute ist ein großer Tag, zum Feiern", meinte auch Esa-Chef Josef Aschbacher. Er sei persönlich erleichtert. "Wir schreiben heute Geschichte." Der gesamte Flug der 56 Meter hohen und 540 Tonnen schweren Rakete war auf knapp drei Stunden angesetzt.

Mit der Ariane 6 raus aus der Krise

Schon seit Monaten hat Europas Raumfahrt auf den Jungfernflug seiner neuen Rakete hingefiebert. Denn für den Kontinent steht viel auf dem Spiel. Die Hoffnungsträgerin Ariane 6 soll wieder einen eigenen Zugang zum All herstellen und so die Unabhängigkeit sichern.

Seitdem vor ziemlich genau einem Jahr die letzte Ariane 5, die Vorgängerin der Ariane 6, in den Weltraum gestartet ist, hatte die europäische Raumfahrt keine eigenen Transporter mehr, um größere Satelliten in den Weltraum zu bringen. Aschbacher sprach von einem riesigen Problem.

Viele Erststarts glücken nicht

Denn Ärger gab es auch bei den kleineren Satelliten. Nach einem erfolgreichen Erststart missglückte der erste kommerzielle Flug der Vega C Ende 2022. Eine Rakete dieses Typs soll erst im November wieder fliegen. Teils wich die Esa für Satellitenstarts auf Falcon-9-Raketen des US-Unternehmens SpaceX von Elon Musk aus.

Raumfahrtexperte Tajmar erinnerte daran, dass auch Elon Musk zahlreiche Raketen starten lässt, bis sie richtig funktionieren. "Denn auch er weiß: Am Boden kann man nicht alles testen, das testet man dann im Flug." Es sei wahrscheinlich, dass beim zweiten Flug der Ariane 6 dann alles wie geplant klappe, schätzt er.

Gelungener Flug nur der Anfang

Mit dem Erstflug der Ariane 6 ist für Aschbacher klar: "Europa ist zurück." Aus der Krise sei man raus. Er erklärte aber auch: "Dies ist nur der erste Schritt, wir haben noch viel Arbeit vor uns." Bereits Ende des Jahres soll die nächste Ariane 6 fliegen.

Die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Anke Kaysser-Pyzalla, lobte: "Es ist gelungen, hier wieder eine Rakete zu erstellen, die man zukünftig in einer Art Raketenfabrik immer wieder bauen kann." Laut Rolf Densing, Leiter des Esa-Kontrollzentrums in Darmstadt reichen die Industriekapazitäten für bis zu elf Starts pro Jahr. Der Chef des Raketenbetreibers Arianespace, Stéphane Israël, sagte, schon im kommenden Jahr wolle man sechsmal eine Ariane 6 in den Weltraum schicken.

Unplanmäßiger Vorfall

Was genau bei dem Jungfernflug passierte, wird nun untersucht. Der Hilfsantrieb der Oberstufe zündete zwar zunächst, stoppte dann aber, wie der Chef des Raketenbauers ArianeGroup, Martin Sion, erklärte. Mit der Wiederzündung am Ende des Erstflugs habe man so viele Informationen wie möglich sammeln wollen, erklärte Sion. Man habe schauen wollen, wie sich die Oberstufe der Rakete in sogenannter Mikrogravitation verhält, einem Zustand, in dem die Gravitationskraft nicht wirkt oder extrem schwach wirkt.

"Es muss nicht alles bis zum Letzten klappen"

Ein Problem sieht die Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, Anna Christmann, in dem Vorfall ebenfalls nicht. "Ich finde, das zeichnet ja solche Technologien wie Raumfahrt auch aus, dass man genau solche Dinge auch ausprobieren muss", sagte Christmann. "Und man sieht, es muss nicht immer alles bis zum Letzten klappen, aber daraus lernt man und daraus wird die Ariane 6 in den nächsten Malen sicher noch besser werden." Insgesamt findet sie: "Der Startablauf lief eigentlich wie geschmiert."

Esa lobt Ariane 6 für ihre Flexibilität

Die Ariane 6 musste zehn Jahre lang auf ihren Erststart warten. Sie ist das Nachfolgemodell der Ariane 5, die von 1996 bis Sommer 2023 im Einsatz war. Die Rakete soll Satelliten für kommerzielle und öffentliche Auftraggeber ins All befördern und ist deutlich günstiger als ihre Vorgängerin.

Je nach Mission kann die flexible Rakete mit verschieden vielen Antrieben ausgestattet werden und unterschiedliche Nutzlasten in einem kleineren oder einem längeren Oberteil unterbringen. Bis zu 21,6 Tonnen Gesamtfracht kann sie transportieren - je nachdem, wie weit zum Beispiel die Satelliten nach oben gebracht werden sollen.

Eine Besonderheit der Ariane 6 ist, dass sie Satelliten in verschiedene Orbits aussetzen kann. Das geht mithilfe eines Triebwerks der Oberstufe namens Vinci, das mehrfach gezündet werden kann. Es wurde im Bremer Werk des Raketenbauers ArianeGroup zusammenmontiert. Laut Walther Pelzer, Generaldirektor der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR hat Deutschland damit die wichtigste Innovation verantwortet.

Experte hält Rakete nicht für besonders modern

Wie modern die Rakete ist, daran scheiden sich die Geister. Esa-Chef Aschbacher ist überzeugt, dass die Rakete den aktuellen Herausforderungen entspricht. Raumfahrtexperte Tajmar antwortet hingegen auf die Frage, ob die Rakete auf der Höhe der Zeit sei: "Das kann man vergessen." Tajmars Blick geht dabei in die USA und zu SpaceX: "2015 ist das erste Mal die Falcon-9-Rakete erfolgreich wieder gelandet und hat quasi das Zeitalter der wiederverwendbaren Raumfahrt gegründet, wo natürlich alle anderen jetzt dann komplett alt ausschauen."

Nachfolge-Rakete soll dann wiederverwendbar sein

Immerhin: Laut Esa-Raumtransportdirektor Toni Tolker-Nielsen soll die nächste Rakete, die die irgendwann die Ariane 6 ablöst, auch wiederverwendbar sein. Derzeit plant die Esa, die Ariane 6 bis mindestens Mitte der 2030er Jahre zu nutzen. Tajmar meint, dann sei man aber wieder 20 Jahre hinterher. Nur: Die langwierigen Entscheidungsprozesse bei der Esa könne man auch nicht mit der Arbeitsweise von SpaceX vergleichen.

Deutschland wichtig für Entwicklung der Rakete

Gut ein Dutzend Länder waren am Bau der Ariane 6 beteiligt. Die Oberstufe wurde in Bremen montiert, die Tanks der Oberstufe und Teile des Triebwerks kommen aus Augsburg beziehungsweise Ottobrunn. Im baden-württembergischen Lampoldshausen wurde das Vinci-Triebwerk getestet. Nach Frankreich ist Deutschland unter den Esa-Ländern der wichtigste Geldgeber und hat etwa 20 Prozent der rund vier Milliarden Euro hohen Kosten der Rakete geschultert./rbo/DP/men