(neu: Aussagen Lindner)
BERLIN (dpa-AFX) - Die Bundesregierung peilt trotz unterschiedlicher Positionen in der Haushaltskrise weiter an, den Etat für 2024 möglichst vor Jahresende zu beschließen. "Schön wäre, Ziel wäre, wunderbar wäre, es in diesem Jahr zu schaffen", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin. Es gebe bei allen drei Koalitionspartnern den Wunsch nach einem baldigen Abschluss. Im Augenblick sei die Koalition dabei, den Haushalt mit gebotener Schnelligkeit, aber auch mit nötiger Sorgfalt zu besprechen.
Dabei müssen jedoch Entscheidungen zu Kernanliegen aller drei Ampel-Parteien getroffen werden. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat seine Kollegen deshalb bereits auf "erhebliche Kraftanstrengungen" eingestimmt. Am Mittwochabend wollten sich die Spitzen von SPD, Grünen und FDP mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) treffen. Werden sie festlegen, wofür der Bund im nächsten Jahr weniger Geld ausgibt? Oder versprechen sie sich wenigstens in die Hand, die Probleme weiter gemeinsam anzugehen?
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte in der ARD, am Mittwochabend sei keine Beschlussfassung vorgesehen, sondern ein Austausch zur politischen Lage. "Und gewiss werden wir auch sprechen über den Fahrplan, wie wir zum Haushalt 2024 kommen." Die Koalition wolle zügig Klarheit schaffen, aber auch sehr sorgfältig arbeiten.
Auch SPD-Chef Lars Klingbeil erwartet noch keine abschließende Lösung für den Haushalt 2024. "Dafür ist die Lage zu groß", sagte er in der Sendung "Frühstart" von RTL und n-tv. Doch er hoffe, dass sich erste Lösungskorridore abzeichneten. CDU-Chef Friedrich Merz riet der Bundesregierung in einem Welt-Interview, den Etatbeschluss für das kommende Jahr nicht übers Knie zu brechen.
Formal war der Koalitionsausschuss schon länger terminiert, doch die Folgen des Karlsruher Haushaltsurteils dürften im Mittelpunkt stehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte untersagt, milliardenschwere Corona-Kredite nachträglich für Klimaschutz und Modernisierung der Wirtschaft zu nutzen und Notlagenkredite für spätere Jahre zurückzulegen. Nun klafft eine Milliardenlücke, und die Koalitionspartner sind sich in den Konsequenzen uneins.
Problem 1: Intel
Seit dem Urteil fehlen der Bundesregierung 60 Milliarden Euro, die schon fest für Investitionen in den kommenden vier Jahren eingeplant waren. Damit sollten unter anderem die Förderung für Chipfabriken von Intel und TSMC
Rechtsverbindlich zugesagte Mittel können 2024 auch ohne die 60 Milliarden fließen, weil der Fonds eigene Einnahmen und genug Geld hat. Auch schon sicher: Bei der Heizungsförderung soll erstmal nicht gekürzt werden. Doch was ist mit dem Rest? Die Vorhaben beträfen den "wirtschaftlichen Kern Deutschlands", warnt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Die Union schlägt vor, die Heizungsförderung rückabzuwickeln. Eine Möglichkeit wäre auch, über Steuererhöhungen mehr Einnahmen zu generieren, was aber die FDP rigoros ablehnt.
Problem 2: Milliardenloch im Etat 2024
Das Urteil hat auch ein Milliardenloch in den Etat für 2024 gerissen. Insgesamt muss die Koalition wohl knapp unter 20 Milliarden Euro zusammenkratzen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hält es deshalb für unvermeidbar, die Schuldenbremse erneut auszusetzen. Das hat die Koalition auch zur Reparatur des Etats 2023 vor - begründet damit, dass die Energiekrise zu Jahresbeginn noch deutlich zu spüren war. Kühnert sagte im Deutschlandfunk, das Loch im Etat sei "über bloße Einsparungen im Kernhaushalt und in den Investitionsvorhaben des Bundes" nicht zu füllen. Die bisherigen Sparvorschläge würden der Größenordnung nicht gerecht.
Ausnahmen von der Schuldenbremse sind bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen möglich. Dies wurde in den vergangenen Jahren etwa wegen der Corona-Pandemie und der Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine genutzt.
Die FDP sieht aktuell keine Grundlage für einen neuen Notlagenbeschluss. Scholz hat angekündigt, Schwerpunkte zu setzen und "natürlich auch Ausgaben zu beschränken". Wegfallen sollen ab dem Jahreswechsel unter anderem die Energiepreisbremsen, doch weiteres ist offen. Die Grünen wollen an aus ihrer Sicht klimaschädliche Subventionen ran, etwa steuerliche Vergünstigungen für Dienstwagen. Auch die Union hat schon eine Streichliste. Darauf: Bürgergeld, Kindergrundsicherung, Sozialleistungen. Das lehnen SPD und Grüne ab.
Problem 3: Grundsatzentscheidung zur Schuldenbremse
Direkt nach dem Karlsruher Urteil flammte eine Debatte zur Zukunft der Schuldenbremse auf. Viele Politiker von SPD und Grünen plädieren für eine Reform, so dass der Staat für wichtige Investitionen mehr Kredite aufnehmen darf. Dann stünden Zukunftsprojekte nicht mehr auf der Kippe. Auch Ökonomen halten das für sinnvoll, sogar einzelne CDU-Ministerpräsidenten zeigten sich offen. Die FDP jedoch besteht bislang darauf, die Regelung im Grundgesetz nicht anzutasten. Genauso sieht das CDU-Chef Friedrich Merz.
Problem 4: Nicht viel Zeit vor Weihnachten
Für einen Etatbeschluss noch in diesem Jahr - was üblich wäre - bleibt nicht mehr viel Zeit. Regierungssprecher Hebestreit sprach die Möglichkeit einer Sondersitzung des Bundestags vor Weihnachten an. Dies wäre aber ambitioniert. Auch der Bundesrat tagt regulär nur noch am 15. Dezember.
Alternative wäre laut Hebestreit ein Haushaltsabschluss voraussichtlich Mitte Januar im Bundestag. In diesem Fall würde bis Ende Januar oder Anfang Februar eine vorläufige Haushaltsführung gelten. Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien jedoch bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen./tam/DP/he