MÜNCHEN (dpa-AFX) - Ungeachtet des anhaltenden Solarbooms sind die Aussichten für ein Überleben der Solarmodulproduktion in Europa düster. Notwendig für die von der EU gewünschte Wiederbelebung der heimischen Produktion wären ein konkreter Plan und industriepolitische Unterstützung mit besseren Rahmenbedingungen, argumentieren Industrievertreter und Fachleute. "Zum aktuellen Zeitpunkt ist hier ein wirtschaftlicher Betrieb einer Modulproduktion aufgrund der aktuellen Preissituation und der Überkapazitäten aus China nicht möglich", heißt es beim Dresdner Unternehmen Solarwatt, das seine deutsche Fertigung in diesem Sommer schließt. "Wenn nicht schnell etwas passiert, wird es also schon sehr bald keine europäischen Modulproduktionen mehr geben."
Dabei erwartet der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) in diesem Jahr in Deutschland kräftiges Wachstum der installierten Photovoltaik-Leistung "im unteren zweistelligen Prozentbereich". Das sagt Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig. An diesem Mittwoch beginnt in München die diesjährige Messe Intersolar, der bedeutendste Branchentreff in Europa.
Nachfrage rasant gestiegen
Gesunkene Kosten haben nach Körnigs Worten dazu beigetragen, dass sich die Photovoltaiknachfrage bei privaten Immobilienbesitzern und
-besitzerinnen in den vergangenen fünf Jahren verzehnfacht hat, und
in den vergangenen Monaten Firmen verstärkt ihre Dächer mit Solaranlagen bestücken. "Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren von preiswerten Solarmodulen, aber auch große Teile der heimischen Solarbranche."
2023 wurden in Deutschland laut Bundesnetzagentur neue Solaranlagen mit 14,1 Gigawatt Leistung installiert - fast doppelt so viel wie 2022. Doch von europäischen Modulherstellern kamen in den vergangenen Wochen Krisenbotschaften: Neben Solarwatt schließt auch der Schweizer Produzent Meyer Burger sein deutsches Werk.
Kaum noch Module aus Europa
Die Ursache ist Verdrängungswettbewerb in China, wo mehrere große Modulhersteller ihren Sitz haben. Die chinesische Konkurrenz fegte schon im vergangenen Jahrzehnt etliche Europäer aus dem Markt. "Ungefähr 94 Prozent der PV-Module kommen aus Asien-Pazifik. Weitere drei Prozent werden von US-Unternehmen produziert, und dann kommt Europa", sagt Eva Poglitsch, Energieexpertin bei der Unternehmensberatung Strategy&, einer Tochter der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC. "Gesamteuropa hat circa 10 bis 12 Gigawatt Produktionskapazität pro Jahr."
Nach Daten des chinesischen Solarindustrieverbands CPIA erhöhten die dortigen Hersteller ihre Produktion im vergangenen Jahr um 69 Prozent und fertigten Module mit einer Leistung von insgesamt 499 Gigawatt. In der Volksrepublik wurden 2023 knapp 217 Gigawatt installiert, wie im aktuellen Geschäftsbericht von Tongwei nachzulesen ist, einem der großen chinesischen Hersteller.
Preise in zwölf Monaten halbiert
Der große Rest muss also auf dem Weltmarkt abgesetzt werden, doch die USA haben den Import chinesischer Solarmodule eingeschränkt. Deswegen steigt der Vertriebsdruck für die chinesischen Firmen, die Folge ist Preisverfall. Nach Zahlen des deutschen Großhändlers Pvxchange haben sich die Preise für Standardmodule seit Mai 2023 in etwa halbiert.
Der Verdrängungswettbewerb bringt auch chinesische Produzenten in Schwierigkeiten, manche schreiben Verluste. Ein großer Projektentwickler für Solaranlagen ist die Münchner Baywa
Überangebot hält sich
"Die Hersteller von Solarmodulen haben daher weiterhin mit niedrigen Gewinnspannen zu kämpfen und wir rechnen damit, dass sich trotz weltweit stärkerer Nachfrage das Überangebot an Modulen im Jahr 2024 nicht auflösen wird." Positiv auswirken könnten sich nach Einschätzung des Managers günstigere Finanzierungskosten: "Die Nachfrage nach Modulen könnte jedoch insbesondere durch sinkende Zinsen an Fahrt aufnehmen", sagt Taft.
Wichtigster Rohstoff für Solarzellen ist Polysilizium, und Weltmarktführer ist Tongwei. Das Unternehmen will die Kapazität seiner Polysiliziumproduktion in naher Zukunft von 450 000 Tonnen auf 850 000 Tonnen im Jahr nahezu verdoppeln, ebenfalls im Geschäftsbericht des in der Provinz Sichuan ansässigen Unternehmens nachzulesen.
Deutsche Firma produziert in Asien
Auch der Dresdner Hersteller Solarwatt lässt ab diesem Sommer in Asien fertigen. "Die Module seien weiterhin zu 100 Prozent Solarwatt-Module, betont der Unternehmenssprecher. Forschung und Entwicklung bleiben in Dresden. Der Heimatstandort soll auch vorerst nicht zurückgebaut werden. "Wenn sich die Marktbedingungen bessern, könnte Solarwatt die deutsche Fertigung wieder hochfahren."
Ob das gelingt, hängt von der europäischen Politik ab. Der "Net Zero Industry Act" der EU soll gewährleisten, dass für den Klimaschutz bedeutende Industrie nicht aus Europa verschwindet. Strategy&-Energiefachfrau Poglitsch verweist darauf, dass Europas Abhängigkeit von asiatischen Solarmodulen noch größer sei als ehedem bei russischem Gas. Beim Gas gab es die Ausweichmöglichkeit auf LNG-Gas. "Eine solche Ausweichmöglichkeit gibt es beim Markt für Solarmodule nicht."
EU-Gesetz birgt Chancen
Der Net Zero Industry Act ist nach Poglitschs Einschätzung eine Chance für europäische Hersteller. "Trotz des schwierigen Markts spielen europäische Hersteller bei Innovationen im Bereich Photovoltaik sehr weit vorne mit." Die Politik müsse aber Anreizmechanismen und Regularien schaffen.
Auch Hersteller Solarwatt begrüßt den Beschluss zum Net-Zero Industry Act, aber dieser allein werde nichts verändern. "Die Solarbranche in Europa braucht endlich einen konkreten Plan, wie es gelingen soll, dass 40 Prozent des Photovoltaik-Zubaus aus europäischen Fertigungen kommen sollen", heißt es bei dem Unternehmen. "Erst wenn die Rahmenbedingungen klar sind, werden Hersteller wieder bereit sein, in den Standort Deutschland bzw. Europa zu investieren."
Für europäische Hersteller wäre es mehr als bitter, wenn sich die heimische Produktion trotz des Solarbooms nicht lohnte. Laut Bundesverband Solarwirtschaft zeigen jüngste Repräsentativbefragungen bei Unternehmen und privaten Immobilieneigentümern "eine sehr hohe Investitionsbereitschaft in Photovoltaik und Batteriespeicher", wie Hauptgeschäftsführer Körnig sagt./cho/DP/zb