Bilanz der chemisch-pharmazeutischen Industrie 2022 / Dunkles Jahr mit
trüben Aussichten
Frankfurt/Main (ots) -
- Produktion sinkt gegenüber Vorjahr um 6 Prozent
- Energie- und Rohstoffkosten belasten die Erträge
- Prognose 2023: Produktion und Umsatz im Sinkflug
- Dringender Nachbesserungsbedarf bei Energiepreisbremsen
Die chemisch-pharmazeutische Industrie blickt auf ein Jahr zurück, das - geprägt
vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der daraus resultierenden
Energiekrise - besonders schwierig war. Auch die Aussichten für 2023 bleiben
düster. "Die Lage ist dramatisch", sagt Präsident Markus Steilemann bei der
Jahrespressekonferenz des Verbandes der Chemischen Industrie in Frankfurt. "Die
enormen Energiepreise, aber auch die Preissteigerungen von Rohstoffen und
Vorprodukten machen der industriellen Basis unseres Landes schwer zu schaffen.
Dazu kommt, dass unsere Unternehmen durch die stark vom Gaskommissionsvorschlag
abweichende Umsetzung der Strom- und Gaspreisbremse voraussichtlich kaum oder
nicht entlastet werden. Vor allem unsere Mittelständler kämpfen um ihre
Zukunft."
Jedes vierte Unternehmen macht Verluste
Der enorme Energie- und Rohstoffkostendruck führte zwar zu einem kräftigen
Anstieg der Produktpreise. Infolge waren chemische Erzeugnisse im Gesamtjahr 22
Prozent teurer als im Vorjahr. Aber die Kosten stiegen stärker als die
Verkaufspreise, sodass laut einer aktuellen Mitgliederbefragung des VCI
mittlerweile bei rund 80 Prozent der Unternehmen die Gewinne zurückgehen. Jedes
vierte Unternehmen macht bereits Verluste. Insbesondere der Mittelstand ist
betroffen.
Zwei Drittel der Mitgliedsunternehmen machte im November der Auftragsmangel zu
schaffen. Über 25 Prozent der Unternehmen sahen ihre Geschäftstätigkeit dadurch
sogar stark beeinträchtigt. Seit einigen Monaten sinkt der Branchenumsatz.
Dennoch lag der Umsatz in Deutschlands drittgrößter Branche im Gesamtjahr mit
266,5 Milliarden Euro noch rund 17,5 Prozent höher als 2021. Das Umsatzplus war
jedoch allein preisgetrieben. Die Verkaufsmengen waren hingegen rückläufig.
Um größere Verluste zu vermeiden und um Energie - insbesondere Gas -
einzusparen, haben viele Unternehmen ihre Produktion gedrosselt. 40 Prozent der
Unternehmen geben an, die Produktion bereits zurückgefahren zu haben oder dies
in Kürze tun zu wollen. Ein Teil davon wurde an ausländische Standorte
verlagert. Bei fast jedem vierten Unternehmen ist die Verlagerung konkret
geplant oder bereits umgesetzt. Jedes fünfte Unternehmen musste wegen der
Energiekrise zudem Aufträge ablehnen.
Chemieproduktion geht um 10 Prozent zurück
"Weil die Chemie mit angezogener Handbremse produzieren muss, werden einzelne
Grundstoffe bereits knapp", stellt VCI-Präsident Markus Steilemann fest. Rund 50
Prozent der Mitgliedsunternehmen berichteten im November von
Lieferschwierigkeiten. Es fehlt unter anderem an Pigmenten, Carbon- und
Glasfasern, Salzsäure, Natronlauge, technischem CO2, organischen
Silikonverbindungen oder Eisenchlorid. Die Liste wird stetig länger, erste
Wertschöpfungsketten reißen. "Chemie steckt in fast allen Gegenständen des
täglichen Bedarfs. Eine wirtschaftliche Schieflage der Branche würde zu
Versorgungsengpässen in allen Lebensbereichen führen", so Steilemann weiter. Die
Produktion sank im Vergleich zum Vorjahr um 6 Prozent. Rechnet man das
Pharmageschäft heraus, lag der Rückgang sogar bei rund 10 Prozent. Einen ähnlich
starken Einbruch bei der Produktion gab es zuletzt 2009 als Folge der
Weltwirtschaftskrise.
Erzeugerpreise geraten trotz steigender Kosten immer mehr unter Druck. Die
Aufträge sind rückläufig und Verkaufserlöse sinken. Besonders schwer getroffen
hat es das Geschäftsfeld Petrochemikalien. Es verzeichnet im Gesamtjahr einen
Produktionsrückgang von 15,5 Prozent. Die Hersteller von anorganischen
Grundstoffen, Polymeren und Spezialchemikalien mussten ihre Produktion um knapp
10 Prozent zurückfahren. Bei den konsumnahen Seifen, Wasch- und
Reinigungsmitteln sowie bei Kosmetika lag das Minus bei 1,5 Prozent. Allein die
Pharmasparte konnte auch in diesem Jahr zulegen. Ihre Produktion stieg um 3
Prozent. Die Zahl der Beschäftigten in der Chemie- und Pharmabranche verbleibt
im Gesamtjahr mit 475.500 auf stabilem Niveau.
Ausblick 2023: Keine Besserung der Lage
Auch für das kommende Jahr erwartet der VCI aktuell keine Besserung der Lage,
denn die Unsicherheit ist nach wie vor hoch. Die Energiekrise zwingt die
deutsche und die europäische Wirtschaft in die Rezession. "Die Ertragslage der
gesamten Branche hat sich im Jahresverlauf rapide verschlechtert. Und die
Vorzeichen für das kommende Jahr stehen denkbar schlecht. Der Rückgang der
Industrieproduktion in Deutschland wird sich weiter beschleunigen, der
Importdruck weiter zunehmen", erklärt Markus Steilemann.
Die Herausforderungen der Branche sind daher auch im kommenden Jahr enorm:
Auftragsmangel, gestörte Lieferketten und hohe Energiekosten. Nach derzeitigem
Stand rechnet der VCI für 2023 mit einem weiteren kräftigen Produktionsrückgang
in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Auch der Umsatz wird sich aller
Voraussicht nach negativ entwickeln. Im Inlandsgeschäft erwartet der Verband
wegen der Industrierezession einen kräftigen Rückgang. Aufgrund der äußerst
volatilen Lage wird über diese Einschätzung hinaus keine quantitative Prognose
abgegeben.
Nachbessern bei Strom- und Gaspreisbremse
Der VCI erkennt an, dass die Politik den dringenden Handlungsbedarf sieht. Das
Hilfsprogramm der Bundesregierung sorgt allerdings nicht für die angekündigte
Entlastung. Grund dafür sind die vielen Einschränkungen, die das europäische
Beihilferecht vorsieht, sowie darüber hinausgehende Verschärfungen im
parlamentarischen Verfahren.
Der VCI sieht im Wesentlichen vier Problemfelder:
- Die festgelegten Förderobergrenzen sind vor allem für Großverbraucher viel zu
niedrig.
- Unternehmen sind gezwungen, Rücklagen zu bilden, sofern das EBITDA nicht um
mindestens 40 Prozent sinkt.
- Die verschärften Regelungen zu Boni- und Dividendenauszahlungen.
- Unternehmen müssen bis April 2025 eine Beschäftigtenzahl von 90 Prozent des
heutigen Niveaus garantieren.
"Die Bundesregierung hat es versäumt, auf EU-Ebene für das Gelingen der
Energiepreisbremsen zu sorgen. Die Hürden für unsere Unternehmen, die Hilfen in
Anspruch zu nehmen, sind brutal. Umso wichtiger ist es jetzt, in Brüssel
nachzuverhandeln", betont Präsident Steilemann. Die Regulierungswut der EU
bereitet ohnehin Sorgen. Im kommenden Jahr plant die Kommission, 51 neue Gesetze
auf den Weg zu bringen, 116 Vorschläge aus den Vorjahren sind noch anhängig.
"Die ohnehin schon angeschlagenen Unternehmen erwartet damit ein regelrechter
Regulierungs- und Bürokratietornado." Anstatt Anreize für Innovation und
Investition zu setzen, schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren auf den Weg
zu bringen und den massiven Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben, werde
gesetzgeberisches Mikromanagement betrieben.
Dabei steht nicht nur die Krisenabwehr auf dem Spiel. Die Chemiebranche leistet
auch für die Transformation hin zur Klimaneutralität einen entscheidenden
Beitrag. "Ohne eine starke und international wettbewerbsfähige Chemieindustrie
wird es keine zukunftssichere und nachhaltige Wirtschaft geben. Sie ist
unersetzlich für den Wohlstand unseres Landes", sagt Steilemann.
HINWEIS: Alle Unterlagen zur Pressekonferenz auf https://www.vci.de
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) vertritt die Interessen von rund
1.900 Unternehmen aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie und chemienaher
Wirtschaftszweige gegenüber Politik, Behörden, anderen Bereichen der Wirtschaft,
der Wissenschaft und den Medien. 2021 setzten die Mitgliedsunternehmen des VCI
rund 220 Milliarden Euro um und beschäftigten mehr als 530.000 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter.
Pressekontakt:
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OTS: Verband der Chemischen Industrie (VCI)