Industrie muss mit geringem Exportwachstum rechnen / Geopolitische
Risiken belasten Unternehmen
München (ots) - Die Handelswege der exportorientierten deutschen Industrie
werden komplexer. Ausfuhren in die wichtigsten Absatzmärkte USA, China,
Frankreich und Niederlande könnten künftig deutlich langsamer wachsen als
bisher. Dies zeigt eine aktuelle Analyse von Deloitte, die die Verschiebung der
Handelswege in zwei geopolitischen Szenarien bis 2035 modelliert.
Die Industrieexporte in die USA steigen in diesem Zeitraum lediglich um 1,8
Prozent pro Jahr, sofern sich die globalen Handelsbeziehungen ähnlich entwickeln
wie in den vergangenen Jahren (Szenario I). Das ist rund ein Drittel weniger als
in den Jahren 2014 bis 2019, als die Ausfuhren in die USA um drei Prozent
jährlich zulegten. Seit dem coronabedingten Einbruch in 2020 stiegen sie gar um
15 Prozent pro Jahr. Mit einem Gesamtvolumen von 87 Milliarden Euro sind die USA
der wichtigste Exportmarkt für die deutsche Industrie, deutlich vor China (64
Milliarden Euro, Stand: 2023). Ausfuhren nach China würden in diesem Szenario
einer multipolaren Welt nur noch um 2,3 Prozent jährlich zulegen (2014 bis 2019:
4%).
"Diese Fokussierung auf einen Absatzmarkt ist selbst bei unveränderten
Handelsbeziehungen riskant", sagt Oliver Bendig, Partner und Leiter der
Industrieberatung bei Deloitte. "Neue Zölle von 10 Prozent oder mehr würden das
ohnehin geringe Exportwachstum in die USA nahezu halbieren. Um bestehende
Abhängigkeiten zu reduzieren und schwächelnde Absatzmärkte auszugleichen müssen
die Unternehmen jetzt diversifizieren."
Ohne Europa geht es nicht
Die wichtigsten europäischen Märkte Frankreich und Niederlande würden um 2,4
Prozent wachsen statt um drei und fünf Prozent wie in den Jahren vor der
Pandemie. Lediglich die Exporte in den fünftgrößten Absatzmarkt, nach
Großbritannien, würden sich nach dem brexitbedingten Rückgang (2014 bis 2019:
-1%) mit einem jährlichen Wachstum von 1,3 Prozent besser entwickeln als in der
Vergangenheit, wenn sich bestehende handelspolitische Trends fortsetzen.
Auch die Industrieexporte in weitere europäische Märkte wachsen wenig dynamisch,
sofern sich die weltweiten Handelsbeziehungen ähnlich entwickeln. Mit 2,4 und
2,5 Prozent nimmt der Absatz in Österreich und Spanien am stärksten zu,
ausgehend jedoch von einer vergleichsweise geringen Basis. Die Ausfuhren nach
Österreich und Spanien hatten 2023 ein Volumen von je 27 Milliarden Euro. "Hier
werden wir sehr wahrscheinlich ein niedriges, aber verlässliches Wachstum der
Industrieexporte sehen", sagt Bendig. "Ohne den europäischen Markt wird es für
die Industrie auch künftig nicht gehen, doch den fehlenden Rückenwind aus den
USA und China wird das kaum wettmachen." Industrieexporte nach Italien wachsen
nach diesem Szenario mit 1,5 Prozent jährlich deutlich langsamer als vor der
Pandemie (5%). Die Wachstumschancen können jedoch je nach Sektoren
unterschiedlich sein: So ist das Potenzial für die Autoindustrie in Frankreich,
Polen und Österreich größer; für den Maschinenbau gilt das in Spanien und
Österreich.
Neue Märkte gewinnen an Bedeutung. Vietnam, Indien und die Philippinen haben
dabei das größte Potenzial, denn Ausfuhren in diese Länder könnten bei einer
Fortschreibung der aktuellen Handelstrends bis 2035 um vier bis mehr als sechs
Prozent jährlich wachsen. "Die Erschließung dieser Märkte ist komplex und
kleinteilig, denn die jeweiligen gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen
müssen erfüllt werden", so Bendig. "Angesichts der Unsicherheiten in den großen
Absatzmärkten USA und China wird der Schritt in diese Märkte aber zwingend
notwendig."
Szenario II: Blockbildung verstärkt Abhängigkeit von USA
Kommt es jedoch zu einer weiteren Verschärfung der Handelskonflikte, zunehmendem
Protektionismus und einer Blockbildung um China und die erweiterten
BRICS-Staaten im Gegensatz zu einem westlich geprägten Block, würden die
Industrieexporte innerhalb der Blöcke zulegen. Die Ausfuhren in die USA könnten
in diesem zweiten Szenario um vier Prozent jährlich wachsen, während die
Industrieexporte nach China um jährlich sechs Prozent zurückgingen. Exporte nach
Indien (-5,7%) und Brasilien (-2,9%) würden ebenfalls deutlich sinken. Die
Abhängigkeit der deutschen Industrie von den USA würde unter diesen
Voraussetzungen bis 2035 zunehmen. Ausfuhren in kleinere Märkte wie Vietnam und
die Philippinen aber auch die europäischen Märkte entwickeln sich in diesem
Szenario weitgehend konstant.
Handelshemmnisse haben seit dem Ende der Finanzkrise 2007 / 2008 erheblich
zugenommen. Zugleich ist auf deutlich niedrigerem Niveau die Zahl der
bilateralen Wirtschaftsabkommen und Handelspartnerschaften gestiegen. "Die
Gleichzeitigkeit dieser Entwicklungen macht den globalen Handel
unübersichtlicher, die Unternehmen brauchen die Unterstützung der Politik", sagt
Dr. Alexander Börsch, Chefökonom und Leiter Research bei Deloitte. "Der
Freihandel braucht neue Impulse. Wenn dies auf globaler Ebene nicht möglich ist,
sollte der Fokus auf neuen bilateralen Vereinbarungen und auf der Vertiefung des
europäischen Binnenmarktes liegen."
Die Absatzmarkt-Analyse finden Sie hier (https://www.deloitte.com/de/de/Industri
es/industrial-construction/research/supply-chain-pulse-check.html) .
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