Suche nach dem Boden, Kommentar zum Aktienmarkt von Christopher
Kalbhenn
Frankfurt (ots) - Die Bewegungen des Dax in der zweiten Hälfte der abgelaufenen
Woche dürfen mit Fug und Recht als spektakulär bezeichnet werden. Nach den Daten
zur US-Inflation, die erneut höher ausfiel als erwartet, sackte der Index am
Donnerstagnachmittag bis nahe an die Marke von 12 000 Punkten ab, um eine
scharfe Kehrtwende zu vollziehen. Sie führte den Dax auf ein am Freitagvormittag
erreichtes Hoch von 12 588 Zählern, ein Anstieg um nahezu 5 % innerhalb nur
weniger Handelsstunden. Es wäre jedoch verfrüht, nun den Schluss zu ziehen, dass
der Aktienmarkt definitiv seine Tiefs gesehen hat, und fest mit einer demnächst
startenden nachhaltigen Erholung zu rechnen.
Denn die Treiber der Gegenbewegung sind nicht unbedingt nachhaltig. Zu einem
großen Teil war sie technischer Natur, getrieben von Eindeckungen und
Schnäppchenjagd. Der Markt war ausverkauft, die globale Fondsmanagerumfrage der
Bank of America wird am Dienstag wahrscheinlich erneut eine extrem negative
Anlegerstimmung und hohe Liquiditätsbestände aufzeigen. Zudem trieb die
Erleichterung über die durchsickernden weiteren Abstriche an den fiskalischen
Entlastungsvorhaben der neuen britischen Regierung die Bewegung, und nach der
ersten Enttäuschung über die US-Inflationsdaten fokussierte sich der Markt
darauf, dass die Jahresteuerungsrate immerhin erneut etwas gesunken ist.
Jedoch löst der Umstand, dass die britische Regierung nach dem von ihr
ausgelösten Vertrauensverlust um Schadensbegrenzung bemüht ist, nicht die
Probleme, mit denen die Aktienmärkte zu kämpfen haben. Das Gleiche gilt für die
leicht rückläufige Jahresinflation in den USA. Die Daten haben letztlich
gezeigt, wie hartnäckig die hohe Inflation ist. Einstweilen bleibt es dabei,
dass die Zentralbanken entschlossen die Zügel weiter anziehen werden. Zins-,
Inflations- und Rezessionsrisiken werden ebenso wie die geopolitischen Konflikte
weiterhin die Aktienmärkte belasten und die Volatilität hochhalten.
Auf der Habenseite der Aktienmärkte stehen die deutlich gesunkenen Bewertungen,
die hoffen lassen, dass der Boden nicht mehr weit entfernt ist. Allerdings sind
diesbezüglich noch viele Fragen offen. Bislang hat sich das düstere Umfeld noch
nicht entsprechend in den Ergebnisberichten der Unternehmen und den
Analystenerwartungen niedergeschlagen. Wahrscheinlich müssen hier noch
nennenswerte Abstriche vorgenommen werden, wovon dann auch das Bewertungsbild
betroffen wäre.
Das Bankhaus M.M. Warburg etwa hegt Zweifel, was die Konsenserwartungen
betrifft. Für die Dax-Unternehmen würden Gewinnzuwächse von 7,3 % in diesem und
weiteren 5,4 % im nächsten Jahr erwartet. "Obwohl die Gewinnprognosen für das
Jahr 2023 zuletzt etwas reduziert wurden, scheinen sie uns angesichts der
konjunkturellen Risiken zu optimistisch zu sein, sodass wir weitere Anpassungen
nach unten erwarten." Die Berichtssaison für das dritte Quartal werde
wahrscheinlich mehr Klarheit bringen, ob die positiven Aussichten für das
kommende Jahr aufrechtzuerhalten sind oder nicht. "Sollte dies der Fall sein,
könnten sich die Aktienkurse in der nächsten Zeit wieder deutlich erholen,
selbst eine Jahresendrally ist dann angesichts der schlechten Stimmung der
meisten Marktteilnehmer möglich", so die Bank, die aber noch zur Vorsicht rät.
Auch die Commerzbank betrachtet die Konsenserwartungen mit Skepsis. Das
Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für den Dax sei in den vergangenen Quartalen von 18
auf 10 gefallen und notiere damit auf einem Niveau, welches in den Jahren 2003,
2009 und 2020 am Ende eines Bärenmarkts zu beobachten gewesen sei. Dennoch
hätten die Aktienmärkte die für 2023 drohende Rezession noch nicht vollständig
eingepreist. Zum einen basiere das Dax-KGV von 10 auf der wohl zu optimistischen
Erwartung, dass die Dax-Unternehmen eine Nachsteuermarge von 7,5 % erzielen
werden, verglichen mit langjährigen Durchschnittsmargen von 4,5 %. "Eine
Rückkehr zu dieser durchschnittlichen Gewinnmarge würde das Dax-KGV von 10 auf
16 erhöhen", so die Bank. Zum anderen notiere das Kurs-Buchwert-Verhältnis des
Dax mit 1,25 über dem Niveau von 1,0 bis 1,2, welches in vergangenen Rezessionen
regelmäßig erreicht worden sei. "Das pessimistische Anlegersentiment und die
defensive Positionierung der Aktieninvestoren dürften zwar kurzfristig immer
wieder zu schnellen Aktienerholungen führen. Doch mittelfristig sollten sich die
Aktien-Abwärtstrends fortsetzen."
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