Stresstest für die Ampel, Kommentar zur Atomkraft von Angela Wefers
Frankfurt (ots) - Richtig ernsthaft will keiner der Koalitionspartner die Ampel
infrage stellen. Unübersehbar aber sind die massiven Spannungen, unter denen das
Dreierbündnis aus SPD, Grünen und FDP steht. In dem Streit zwischen Grünen und
Liberalen über die längere Nutzung von Kernkraft, länger als bis zum offiziellen
Ausstiegsdatum des Jahresendes 2022, konnte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nur
mit Hilfe seiner Richtlinienkompetenz intervenieren. Das Machtwort des Kanzlers
in Form einer schriftlichen Anweisung löst den Streit aber nicht.
Längstens bis 15. April 2023 sollen die drei verbliebenen deutschen
Kernkraftwerke nun laufen können - ein Kraftwerk mehr, als die Grünen zugestehen
wollten. Neue Brennstäbe werden nicht angeschafft, hat der Kanzler einen Tag
später bekräftigt. Die FDP musste damit Abstriche bei ihrer Forderung nach einer
Laufzeit bis 2024 machen. Für die FDP und ihren Parteichef Christian Lindner ist
es gleichwohl ein Sieg im Disput mit den Grünen. Die Liberalen jubilierten über
die "Klarheit" des Kanzlers. Die Grünen blieben dünn in der Reaktion:
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verstummte. Parteiveteran Jürgen Trittin
sprach erst tags danach von einem Stresstest für die Ampel-Koalition. Allen
Beteiligten der Ampel ist klar, dass sie zusammenbleiben müssen. Würde sie
zerbrechen, wären der politisch Preis und der Ansehensverlust für den Ausstieg
hoch.
Es ist ein Armutszeugnis, dass die Ampel in einer Krise nicht in der Lage ist,
ihre Probleme im Konsens zu lösen. Richtig ist, dass die FDP gegenüber dem
vereinbarten Atomausstieg im Koalitionsvertrag wortbrüchig wurde. Richtig ist
aber auch, dass bei Abschluss des Koalitionsvertrags Russland die Ukraine noch
nicht überfallen hatte und zuverlässig günstige Energie nach Deutschland
lieferte. Eine Regierungskoalition muss in der Lage sein, sich der Realität
anzupassen. Ideologie ist ein schlechter Kompass. Den Stresstest hat die Ampel
nicht gut überstanden. Regieren mit Richtlinienkompetenz ist auf Dauer wenig
erfolgversprechend. Es kostet Vertrauen bei Bürgern und Wirtschaft.
Für die Wirtschaft bedeutet der Schritt nun nur etwas mehr Planbarkeit.
Kernkraft bringt kaum Entlastung auf dem angespannten Gasmarkt. Sie kann aber
den Strommarkt stabilisieren. Der Betrieb in diesem Winter schafft klar mehr
Sicherheit im Markt. Die Energieversorgung im nächsten Winter 2023/2024 bleibt
aber kritisch. Unternehmen müssen planen können. Sie stecken weiterhin im
Ungewissen.
Es bleibt die Frage, warum die Ampel-Regierung die Expertenkommission Gas und
Wärme eingesetzt hat. Bis zum Monatsende sollen die Spezialisten ihre
abschließenden Empfehlungen vorlegen. Zu den noch ungelösten Aufgaben im jüngst
präsentierten Zwischenbericht gehören Vorschläge für Optionen zur
Angebotsausweitung und Nachfragereduzierung. Dazu hätte auch eine Empfehlung zum
Energiemix gehören können. Der Industrieverband BDI - mit im Vorsitz der
Kommission - hält es für notwendig, über eine längere Laufzeit der Kernkraft
über den 15. April hinaus sachlich zu diskutieren. Nach dem Machtwort des
Kanzlers ist ein solcher Diskurs kaum möglich. Scholz erreicht mit der Ampel nun
eine neue Form der Basta-Politik.
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