Rezept gegen Rezession, Kommentar zu Siemens von Michael Flämig

Frankfurt (ots) - Wo bleibt sie denn, die Rezession? Die Auguren haben das

wirtschaftliche Schrumpfen so fleißig angekündigt und so gut begründet, dass sie

eigentlich bald gesichtet werden müsste. Wer allerdings in die

Quartalsergebnisse vieler Dax-Unternehmen schaut, der sieht vor allem: gute

Zahlen. Wichtiger noch allerdings ist, dass dieser Optimismus auch auf die

Geschäftspläne durchschlägt. Dies zeigt das Beispiel der Siemens-Firmen, die

wegen ihres gebrochenen Geschäftsjahres das Budget 2023 früher als die

Konkurrenz planen müssen.

Wenn ein Medizintechnik-Spezialist wie Healthineers sich ein Wachstum des

bereinigten Umsatzes von 6 bis 8 % vornimmt, mag dies kein Argument gegen eine

aufziehende Rezession sein, schließlich agiert der Konzern in einer

konjunkturunabhängigen Branche.

Die Siemens AG allerdings ist eine andere Hausnummer. Der Konzern traut sich nun

sogar ein Plus von bis zu 9 % zu, und die operative Marge will er auch noch

kräftig erhöhen. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Münchner ihre Kunden in

wichtigen Schlüsselindustrien weltweit haben, vom Auto bis hin zum Maschinenbau.

Die Umsatzprognose liegt sogar über jenem Niveau, das sich der Vorstand einst

als Durchschnittsziel über einen Geschäftszyklus gesetzt hat. Es scheint also

eine Boom-Planung 2022/2023 zu sein.

Kein Wunder, dass der Deutsche Aktienindex seit einigen Wochen wieder nach oben

fährt - wenngleich er die Risiken des Ukraine-Kriegs mangels Berechenbarkeit

ausblendet. Die Anleger haben Siemens am Tag der Bilanzvorlage sogar ein

Kursplus von 7 % zugestanden. Die groteske Unterbewertung der Aktie seit

Jahresmitte löst sich trotzdem erst schrittweise auf.

Die erfreulichen Aussichten aufs operative Geschäft darf sich der Vorstand an

seine Brust heften. Der Konzern ist strategisch goldrichtig platziert. Er bietet

Produkte für eine digitalisierte Fertigung und zugleich Lösungen zur Senkung des

CO2-Ausstoßes. Die Entkopplung der Wirtschaftsräume zwingt zudem weltweit zum

Fabrikneubau. Daraus kann Siemens so viel Kapital schlagen, weil der Vorstand

trotz des Quartalsdrucks viel Geld in Forschung investiert hat - und die Quote

weiter steigert. Das Auftragsbuch in Rekordhöhe ist der Lohn dieser Erfolge. Es

mildert die nun langsam nachlassende Nachfrage erst einmal ab.

Zu diesen hausgemachten Erfolgsfaktoren kommt aber der Vorteil, ein Global

Player zu sein. Im Gegensatz zum Mittelstand kann Siemens Lieferengpässen

mithilfe weltweiten Einkaufs effektiv entgegenwirken. Lokale

Wertschöpfungsketten mindern die Risiken, die von erratisch und teils irrational

agierenden Staaten geschaffen werden. Außerdem hat Siemens das Glück, dass teure

Energie als Inputfaktor in der eigenen Produktion eine nur untergeordnete Rolle

spielt.

Ein einfaches Rezept gegen eine Rezession mag es nicht geben. Aber das Beispiel

Siemens zeigt: Wenn die Rezession kommt, wird sie nicht alle gleichermaßen

treffen. Große Firmen sind diesmal besser geschützt, zumal wenn sie in einem

Feld mit strukturell hoher Nachfrage agieren. Dabei ist allerdings Vorsicht

angezeigt: Auch ihr Wachstum ist differenziert zu bewerten. Denn Preiserhöhungen

lassen die Absatzdynamik höher erscheinen, als sie mengenmäßig ist.

Pressekontakt:

Börsen-Zeitung

Redaktion

Telefon: 069-2732-0

www.boersen-zeitung.de

Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/30377/5373288

OTS: Börsen-Zeitung