Puzzleteil, Kommentar zur EU-Industriepolitik von Stefan Reccius

Frankfurt (ots) - Die EU-Kommission hat ihr groß angekündigtes Industriepaket

noch gar nicht offiziell vorgestellt, schon arbeiten sich Wirtschaftsvertreter

und Beobachter an publik gewordenen Einzelheiten ab. Es sei nicht damit getan,

US-Subventionen "irgendwie zu spiegeln", mahnt Thilo Brodtmann, der Chef des

Maschinenbauverbands VDMA. Anderen kommt der Ausbau der Kapitalmarktunion zu

kurz, weil sie befürchten, dass Wirtschaft und Politik finanziell am Ende auf

dem Trockenen sitzen. Die ambitionierten Multimilliardenpläne für Europas

Industrie wären dann Makulatur.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat einiges an Überzeugungsarbeit vor

sich, wenn sie an diesem Mittwoch den "Green Deal Industrial Plan" lanciert. Der

kommt im Wesentlichen als Antwort auf das US-Subventionspaket namens Inflation

Reduction Act daher. Nach dem zu urteilen, was bislang bekannt ist, widersteht

die EU-Kommission immerhin der Versuchung, dem "Buy American" ein plumpes "Buy

European" entgegenzusetzen. Ansonsten gibt es unverkennbare Parallelen zum

US-Pendant, wenn es beispielsweise um gezielte Steueranreize und andere

Förderinstrumente geht.

Der Industrieplan fügt sich ein in eine Art Masterplan. In dessen Zentrum steht

der klimafreundliche Umbau der europäischen Wirtschaft, ohne an internationaler

Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Dafür setzt die EU-Kommission Puzzleteil für

Puzzleteil das Bild einer Industriepolitik der neuen Generation zusammen.

Darin fügt sich der weit fortgeschrittene EU Chips Act ein, um die Versorgung

mit Halbleitern auf dem Kontinent zu sichern. Ein ebenso wichtiges Puzzleteil

ist der Raw Materials Act, mit dem die EU-Kommission in den letzten Zügen ist.

In beiden Fällen - Chips wie Rohstoffe - geht es darum, Europa aus

Abhängigkeiten zu befreien. Auch das entschlossenere Vorgehen gegen

subventionierte Konkurrenten von außerhalb der EU fügt sich in das Bild einer

aktiveren Industriepolitik.

Die Renaissance staatlicher Beihilfen fordert auch die Finanzpolitik heraus. Die

Debatte über die Reform der Schuldenregeln in der EU läuft erst an. Die

EU-Kommission ist auf eine investitionsfreundliche Ausgestaltung aus, wie

Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni auf seiner Werbetour in Berlin

unterstrichen hat. Soll heißen: Brüssel will bei Defizitberechnung und

Schuldenabbau hier und da ein Auge zudrücken, wenn es dem Wachstum im

Allgemeinen und klimafreundlichen Projekten im Speziellen dient. Spätestens beim

EU-Gipfel im März kommt das auf die Tagesordnung.

Noch etwas ist Wirtschaftsvertretern von Maschinenbau bis Autoindustrie aus

gutem Grund wichtig: Technologieoffenheit. Die EU-Kommission erweckt bisweilen

den Eindruck, als kenne sie Gewinner und Verlierer der Klimawende, die ja im

Wesentlichen eine Technologiewende ist, schon. So nimmt die Förderung von

Wasserstoffprojekten eine herausgehobene Rolle ein. Auch Hersteller von

Batterien, Solaranlagen und Windturbinen sind explizit angesprochen. Dafür mag

es aus jetziger Sicht gute Gründe geben, doch eine allzu dirigistische

Industriepolitik erweckt nun mal Argwohn. EU-Kommissionschefin Ursula von der

Leyen hat Gelegenheit, solche und andere Vorbehalte auszuräumen. Die sollte sie

nutzen.

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