In der Schlangengrube, Kommentar zur britischen Premierministerin

Truss von Andreas Hippin

London (ots) - Liz Truss gehört nicht zu den Politikerinnen, die einen durch ihr

Charisma mitreißen können. Doch hat die neue Premierministerin ihre Antrittsrede

auf dem Tory-Parteitag besser als erwartet über die Bühne gebracht. Dazu verhalf

ihr ein kurzer Greenpeace-Protest, mit dem sie vergleichsweise charmant umging.

Es war die perfekte Überleitung dazu, über eine vermeintliche

Anti-Wachstums-Koalition aus Labour, schottischen Nationalisten,

Liberaldemokraten, Gewerkschaften und sonstigen Bedenkenträgern herzuziehen, die

das Land aus ihrer Sicht am Boden hält.

An ihrer Weltsicht hat sich trotz aller Turbulenzen der vergangenen Tage nichts

geändert. Sie setzt weiter auf Steuersenkungen und Deregulierung, um Wachstum zu

generieren. Dass der Funke übersprang, lässt sich nicht behaupten. Die Stimmung

entsprach eher dem herannahenden Ende einer Amtszeit als dem viel beschworenen

Neubeginn. Trotzdem erhielt sie am Ende noch reichlich Applaus.

Die Tories sind nach zwölf Jahren an der Macht in einem bemitleidenswerten

Zustand. Wie bei Labour handelt es sich auch bei ihnen um eine Koalition

unterschiedlichster Interessengruppen. Die Parlamentsfraktion hat mit Boris

Johnson ihren in der Bevölkerung beliebtesten Politiker gestürzt, der den

Konservativen 2019 zu einem Erdrutschsieg verhalf - und das wegen Verfehlungen,

die außerhalb von Westminster nicht viele Menschen interessierten. Die

Abgeordneten wollten Johnson durch seinen Schatzkanzler Rishi Sunak ersetzen,

doch die Parteibasis spielte nicht mit. Denn die Mitglieder sind konservativer

als die Mandatsträger der Partei. Sie wählten mit Truss eine Vertreterin des

libertären Flügels an die Spitze. Einige Abgeordnete wollen sich damit nicht

abfinden. Ihre Drohung, im Parlament gegen die vorgeschlagene Ab­schaffung des

Spitzensteuersatzes zu stimmen, zwang Truss zur Kehrtwende. Gewiss, es war

ohnehin keine gute Idee. Aber was soll man von einer Mitte-rechts-Partei halten,

die es trotz überwältigender Mehrheit im Unterhaus nicht schafft, eine

Steuersenkung zu verabschieden? Der Widerstand gegen das Geschenk an die

Großverdiener dürfte erst der Anfang der Auseinandersetzungen innerhalb der

Partei gewesen sein.

Truss fehlt es am nötigen Rückhalt in der Fraktion, um die von ihr angestrebten

tiefgreifenden Veränderungen durchs Parlament zu bringen. Auch ihr Kabinett

erweist sich als Schlangengrube. Während Innenministerin Suella Braverman

öffentlich bedauerte, dass Truss nachgab, forderte Penny Mordaunt einen vollen

Inflationsausgleich für Sozialhilfeempfänger. Mordaunt nimmt die Geschäfte der

Regierung im Unterhaus wahr. Sie wiederholte mit ihrer Forderung allerdings nur,

was die Vorgängerregierung ihren Wählern versprochen hatte. Denn die Tories

wurden auf Grundlage eines Wahlprogramms gewählt.

Will Truss davon wesentlich abweichen, muss sie sich dafür ein neues politisches

Mandat holen. Denn sie wurde - anders als Johnson - nicht von der Bevölkerung

gewählt. Die Lager haben nicht viel Zeit, sich unter ihrer Führung zu vereinen,

soll die Partei nicht zu einer Koalition des Niedergangs werden. Geht der

Hickhack weiter, sind Neuwahlen unausweichlich. Und Labour liegt in den Umfragen

deutlich vorn.

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