Gescheiterte Erpressung, Kommentar zur Europäischen Union von Andreas

Heitker

Brüssel (ots) - Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán hat gerade noch

rechtzeitig die Reißleine gezogen. Hätte er seinen Erpressungskurs, mit dem er

seit Monaten die anderen EU-Staaten in Geiselhaft nimmt, noch weiter

fortgesetzt, hätte sein Land zum Jahresende rund 4 Mrd. Euro aus dem Brüsseler

Corona-Wiederaufbaufonds unwiederbringlich verloren. Ob Budapests autoritärer

Herrscher dies seiner Bevölkerung noch irgendwie hätte erklären können? Wohl

kaum. Dass die anderen EU-Staaten nun den nationalen Aufbauplan gebilligt haben,

ist der kleine Triumph, den Orbán feiern kann. Aber Geld fließt jetzt noch lange

nicht aus Brüssel, sondern erst, wenn zahlreiche Reformen im Land umgesetzt

sind. Und dies ist der große Triumph der EU.

Natürlich: Das Einfrieren von gut 6 Mrd. Euro an Haushaltsgeldern tut Orbán noch

nicht wirklich weh. Hier geht es um EU-Mittel, die zum Teil erst in den Jahren

2025, 2026 oder 2027 fällig gewesen wären. Aber auch hier muss er nun erst

einmal konkrete Maßnahmen gegen Korruption in seinem Land umsetzen, bevor er

wieder die Chance hat, an das Geld zu kommen, auf das Ungarn zumindest

mittelfristig nicht so einfach verzichten kann.

Erstmals haben die EU-Institutionen jetzt ihren noch relativ neuen

Rechtsstaatsmechanismus angewandt - und er scheint zu wirken. Auch in den

Mitgliedstaaten gab es nun zum ersten Mal die nötige Mehrheit zum Eingreifen,

wenn EU-Gelder möglicherweise veruntreut werden. Und dies ist gerade vor dem

Hintergrund der aktuellen Korruptionsvorwürfe rund um das Europaparlament ein

wichtiges und nicht zu unterschätzendes Signal nach innen und außen.

Innerhalb der EU hatte Orbán spätestens mit seiner jüngsten Blockade der

Ukraine-Finanzhilfen seine letzten Verbündeten verloren. Selbst die ansonsten in

Fragen der Rechtsstaatlichkeit fest verbandelten Polen hatten sich abgewendet.

Zudem hatten die anderen Staats- und Regierungschefs Orbán sowohl im Falle der

Ukraine-Hilfe als auch bei der ebenfalls blockierten Mindeststeuer sehr klar

gemacht, dass sie eine Umsetzung notfalls auch im Kreise der EU-26 durchsetzen

würden - selbst wenn die Wege dann komplizierter würden. Die Erpressungsversuche

mit Hilfe der Vetos wären damit so oder so ins Leere gelaufen. Damit kommt die

EU jetzt doch noch 2022 zu ihrem Mindeststeuer-Beschluss, mit dem eigentlich

kaum noch jemand gerechnet hatte. In einem Jahr sollte die nationale Umsetzung

dann abgeschlossen sein, was dann auch in der Steuerpolitik für ein wenig mehr

Gerechtigkeit sorgt. Auch dies ist ein positiver Nebeneffekt aus dem

Ungarn-Paket.

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