Gefahr nicht gebannt, Kommentar zur Inflation von Mark Schrörs
Frankfurt (ots) - Keine Diskussion: Der sogar überraschend deutliche Rückgang
der Inflationsrate in Deutschland im Dezember von 11,3 % auf 9,6 %
(EU-harmonisiert) ist eine gute Nachricht. Für viele Haushalte bedeutet das eine
ebenso willkommene wie dringend benötigte finanzielle Entlastung und es ist ein
gutes Zeichen für die darbende Konjunktur. Für Entwarnung oder gar Euphorie
besteht aber kein Grund - und das hat mit den Gründen des Rückgangs und mit dem
weiteren Ausblick zu tun. Das Schlimmste in Sachen Inflation mag überstanden
sein. Aber es ist und bleibt schlimm.
Zunächst zu den Gründen: Der Rückgang im Dezember geht vor allem auf zwei
Faktoren zurück - auf niedrigere Energiepreise infolge gesunkener Öl- und
Gaspreise und auf die Dezember-Soforthilfe der Bundesregierung, also die
staatliche Übernahme der Abschlagszahlung für Gaskunden. Die Energiepreise sind
aber extrem volatil und die Erfahrung zeigt, dass es auch schnell wieder in eine
andere Richtung gehen kann - zumal bei einer erneuten Eskalation des
Ukraine-Kriegs. Vor allem aber gilt es, die Wirkung der Soforthilfe einzuordnen.
Sie entlastet zwar kurzfristig die Verbraucher und senkt die Inflationsrate. Das
ist aber künstlich und bedeutet eben de facto keine Preissenkung. Es kann
künftig sogar zu länger erhöhter Inflation führen. Das gilt umso mehr, als die
Entlastung die Kaufkraft und tendenziell die gesamtwirtschaftliche Nachfrage
stärkt. Die Erleichterung jetzt kommt also womöglich zum Preis längeren
Inflationsdrucks.
Das bringt einen unmittelbar zum Ausblick: Die Zeit deutlich zweistelliger
Inflationsraten scheint zunehmend passé. Und nach einem möglichen erneuten
Anstieg der Inflation im Januar und Februar, nach dem Wegfall der
Einmalentlastung, könnte es ab März sogar einen deutlichen Rücksetzer geben.
Dann fällt der kriegsbedingte Anstieg der Energie- und Nahrungsmittelpreise aus
dem Vorjahresvergleich heraus und die Gas- und Strompreisbremsen entfalten ihre
volle Wirkung. Es besteht aber wenig Hoffnung auf einen rasanten Rückgang der
Teuerung, und das EZB-Inflationsziel von 2 % bleibt auf absehbare Zeit außer
Reichweite. Im Gegenteil: Die Gefahr nimmt zu, dass sich die Teuerung deutlich
oberhalb von 2 % verfestigt. Der fortgesetzte Anstieg der Kerninflation (ohne
Energie und Lebensmittel), die weniger beeinflusst ist von den verzerrenden
staatlichen Preissubventionen, ist da beunruhigend. Er zeugt davon, dass sich
die Inflation zunehmend durch die Wirtschaft frisst. Auch der deutliche Anstieg
der Inflationserwartungen von Verbrauchern und Unternehmen ist ein Grund zur
Sorge. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale ist keineswegs gebannt.
Deswegen bleibt auch die Europäische Zentralbank (EZB) gefragt. Es wäre fatal,
wenn sie wegen des jüngsten Inflationsrückgangs in Deutschland und Euroland
bereits die geldpolitische Straffung stark verlangsamen oder sogar beenden
würde. Sie muss den Trend bei den Inflationserwartungen brechen und das Risiko
von Zweitrundeneffekten eindämmen. Dafür muss sie ihre Leitzinsen vorerst weiter
anheben. Die Unsicherheit über die Inflationsentwicklung ist zweifellos so groß
wie selten. Die vergangenen Jahre haben aber schmerzhaft gelehrt, dass man sich
nicht darauf verlassen kann, dass sich das Inflationsproblem von selbst in Luft
auflöst.
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