FRANKFURT (dpa-AFX) - Trotz Energiekrise und hoher Inflation ist die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal überraschend gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg gegenüber dem Vorquartal um 0,3 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in einer ersten Schätzung mitteilte. Analysten hatten hingegen im Schnitt einen Rückgang der Wirtschaftsleistung erwartet.

Das sagen Ökonomen zu der Entwicklung:

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING

"Das überraschende Wachstum im dritten Quartal bedeutet nicht, dass sich die Erwartung einer Rezession geändert hat. Alle Frühindikatoren deuten auf eine weitere Abschwächung der Konjunktur im vierten Quartal hin und eine Besserung scheint nicht in Sicht. Auch wenn das Wetter der deutschen Wirtschaft etwas Erleichterung gebracht hat, da die Regenfälle die Wasserstände erhöhten und das warme Oktoberwetter den Beginn der Heizsaison verschoben hat, setzt sich das allmähliche Abgleiten in die Rezession fort."

Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank

"Das dürfte nur die Ruhe vor dem Sturm sein. Denn die hohe Inflation lässt die Kaufkraft der Konsumenten einbrechen. Wichtige Frühindikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima sind bereits auf Niveaus gefallen, bei denen es in der Vergangenheit zu einer Rezession gekommen war. Alles spricht für ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaft im Winterhalbjahr.

Bernd Krampen, Analyst NordLB:

"Offenbar wurde der sommerliche Impuls vor allem von dem privaten Konsum getragen. Leider sieht das gesamte Umfeld derzeit nicht nach einer Fortsetzung moderat positiver Wachstumsraten aus. Die Covid-19-Krise ging quasi übergangslos in die von Russland ausgelöste von unserer bisherigen Sorglosigkeit begünstigten, großen Energiepreiskrise über. (...) Die Rezession ist also nur auf das Winterhalbjahr verschoben worden - der 'Cold Wind of Change' kommt halt einfach nur etwas später."

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank

"Das vorliegende Zahlenmaterial bringt die Aussage, dass die Rezession im laufenden Quartal schon begonnen hat, ins Wanken. Vielleicht schlägt sich die Wirtschaft selbst im Schlussquartal 2022 besser als erwartet. Der Beginn der Rezession könnte also auch erst die Wintermonate 2023, also das erste Quartal des kommenden Jahres betreffen."

Claus Vistesen, Analyst Pantheon Macroeconomics

"Die größte Volkswirtschaft der Eurozone widersetzte sich der weit verbreiteten Erwartung, auch von uns, dass sie in der zweiten Jahreshälfte in eine Rezession eintreten würde, zumindest bis wir Revisionen sehen. Details macht Destatis bei der Veröffentlichung der ersten Schätzung nicht, daher müssen wir uns mit dem Hinweis begnügen, dass 'die Wirtschaftsleistung im dritten Quartal 2022 im Wesentlichen auf den privaten Konsumausgaben basierte'."

Alexander Krüger, Analyst Hauck Aufhäuser Lampe

"Das BIP-Ergebnis überrascht unseres Erachtens sehr. Dieses hatte sich mit Blick auf die seit Monaten anhaltende miserable Stimmung bei privaten Haushalten und Unternehmen und enttäuschend ausgefallener harter Konjunkturdaten nicht abgezeichnet. Dass vor allem die privaten Konsumausgaben der Hauptwachstumstreiber gewesen sind, ist daher kaum zu glauben. (...) Für das Winterhalbjahr 2022/23 bleiben wir pessimistisch gestimmt. Auch wenn sich Knoten bei Lieferketten zuletzt gelockert haben und Energiepreise gesunken sind, bleibt die Lage angespannt."

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