MONTE CARLO (dpa-AFX) - Angesichts vermehrter Naturkatastrophen und der hohen Inflation wollen die weltgrößten Rückversicherer kräftig an der Preisschraube drehen. Auch die Kunden von Erstversicherern wie Allianz und Axa müssten ab 2023 wohl tiefer in die Tasche greifen, kündigte der weltweit drittgrößte Rückversicherer Hannover Rück am Montag beim Branchentreffen in Monte Carlo an. Laut Vorstandsmitglied Michael Pickel müssen die Prämien in Deutschland sowohl in der Kfz-Versicherung als auch in der privaten Wohngebäudeversicherung um zehn Prozent und mehr steigen, allein um die Folgen der Inflation zu decken.

Als Grund nannte er vor allem die gestiegenen Kosten für Autoersatzteile und -reparaturen. Allein dafür müssten Erstversicherer die Prämien in der Kfz-Versicherung 2023 um etwa zehn Prozent anheben. In der Wohngebäudeversicherung geht er sogar von etwa 15 Prozent aus, denn etwa so stark seien Baukosten und Werte der Immobilien gestiegen. Hinzu kommen Pickel zufolge Aufschläge für gestiegene Risiken - etwa durch vermehrte Naturkatastrophen infolge des Klimawandels.

Im sogenannten proportionalen Geschäft übernehmen Rückversicherer von Erstversicherern einen Teil der Risiken aus deren Kundenverträgen und bekommen im Gegenzug einen entsprechenden Anteil an den Prämien. In anderen Verträgen springen sie etwa bei Naturkatastrophen erst ab einer bestimmten Gesamtsumme für Schäden ein.

Nach zwei Jahren Unterbrechung wegen der Corona-Pandemie treffen sich Vertreter der Rückversicherungsbranche seit diesem Wochenende wieder im Fürstentum Monaco an der Cote d'Azur mit ihren Kunden und Maklern. Dort loten sie noch bis Mittwoch (14. September) die Konditionen für die Vertragserneuerung im Schaden- und Unfallgeschäft zum bevorstehenden Jahreswechsel aus.

Am Sonntag pochte bereits der weltgrößte Rückversicherer Munich Re auf eine Anhebung der Rückversicherungsprämien, um die künftig zu erwartenden höheren Schäden auszugleichen. Am Montag schloss sich die weltweite Nummer zwei Swiss Re der Forderung an. Die Aktien der drei größten Rückversicherer legten am Montagvormittag um ein bis zwei Prozent zu.

"Die Inflationsraten sind in vielen Regionen so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr", sagte Hannover-Rück-Chef Jean-Jacques Henchoz. "Zusammen mit dem Krieg in der Ukraine und der nach wie vor nicht besiegten Pandemie befeuert dies den langjährigen Trend zu immer höheren Belastungen für Erst- und Rückversicherer." In der Schaden- und Unfall-Rückversicherung seien weitere Preiserhöhungen daher unvermeidbar. Dies gelte auch für Bereiche, die zuletzt nicht von besonders hohen Schäden betroffen waren.

Wie teuer die Folgen von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine die Erst- und Rückversicherer zu stehen kommt, ist unterdessen noch nicht genau absehbar. Wie die Swiss Re geht auch die Ratingagentur Fitch inzwischen von einem versicherten Gesamtschaden von etwa 10 Milliarden US-Dollar (9,9 Mrd Euro) aus. Dies entspreche etwa einer mittelgroßen Naturkatastrophe, sagte Fitch-Analyst Harish Gohil in Monte Carlo.

Die tatsächliche Summe hängt vor allem von Gerichtsurteilen zu mehreren hundert Flugzeugen ab, die ausländische Flugzeugfinanzierer an russische Airlines verleast hatten - und nun nicht mehr zurückbekommen. Fitch hatte den möglichen Schaden im März auf bis zu 10 Milliarden Dollar geschätzt. Sollten die Versicherer dafür komplett geradestehen müssen, könne der gesamte Versicherungsschaden durch den Krieg auf etwa 15 Milliarden steigen, sagte Gohil. Im umgekehrten Fall wären auch nur 5 Milliarden denkbar. Nach Ansicht von Hannover-Rück-Vorstand Sven Althoff bestand für die Maschinen nach der Kündigung der Verträge infolge der Sanktionen kein Versicherungsschutz mehr.

Dass Rückversicherungsverträge 2023 voraussichtlich generell teurer werden, liegt auch an einem geschrumpften Angebot. So ist das Kapital der Rückversicherer wegen der Turbulenzen an den Finanzmärkten und der gestiegenen Zinsen zuletzt gesunken. Die Ratingagentur A.M. Best geht für das Gesamtjahr 2022 von einem Rückgang um mehr als acht Prozent auf 435 Milliarden Dollar aus. Dies wäre das erste Mal seit 2018, dass die weltweite Rückversicherungskapazität sinkt.

Mit weniger Kapital können Unternehmen weniger Risiken schultern als vorher. Die Kapazität für Naturkatastrophendeckungen in Florida sei bereits knapp, hieß es unisono aus der Branche. In der Region toben immer wieder Hurrikane, und die Hannover Rück hält das dortige Prämienniveau schon lange für zu niedrig.

In Europa geht das Management hingegen von steigenden Preisen für die Absicherung gegen Naturkatastrophenrisiken aus. In Deutschland war 2021 sogar das schadenträchtigste Jahr der Geschichte - vor allem wegen der verheerenden Flutkatastrophe im Juli. Im Februar 2022 folgte eine Wintersturm-Serie, die Versicherer laut Verbandsangaben in Deutschland etwa 1,4 Milliarden Euro kosten dürften. Mit einem höheren Prämienniveau werde das Naturkatastrophengeschäft auch für die Hannover Rück interessanter, sagte Vorstandsmitglied Silke Sehm.

Wie Munich Re und Hannover Rück erwartet auch Swiss Re eine wachsende Nachfrage nach Rückversicherungsschutz. Der Schweizer Rückversicherer will in diesem Zuge auch sein Naturkatastrophengeschäft ausbauen. Nach Einschätzung des Unternehmens dürfte das Prämienvolumen in diesem Markt für die Rückversicherer in den nächsten vier Jahren von derzeit weltweit 35 Milliarden auf rund 48 Milliarden Dollar wachsen./stw/mne/mis