TEHERAN (dpa-AFX) - Die Hinrichtung zwei weiterer Demonstranten im Iran hat international Kritik und Entsetzen hervorgerufen. Außenministerin Annalena Baerbock warf der iranischen Führung vor, brutal und menschenverachtend vorzugehen. Der Auswärtige Dienst der EU sieht in den Exekutionen einen weiteren Beleg dafür, wie gewaltsam die Demonstrationen der Zivilbevölkerung in dem Land unterdrückt werden. Mohammed-Mehdi K. und Sejed-Mohammed H. waren am Samstagmorgen gehängt worden, wie die iranische Justizbehörde bekanntgab. Sie wurden für den Tod eines Sicherheitsbeamten bei Protesten im November verantwortlich gemacht. Im Zusammenhang mit den systemkritischen Demonstrationen waren bereits im Dezember Todesurteile gegen zwei Männer vollstreckt worden. Und es könnte weitere Hinrichtungen geben.
Seit Monaten protestieren Menschen im Iran gegen den repressiven Kurs der Regierung und das islamische Herrschaftssystem. Ausgelöst wurden sie von dem Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini Mitte September. Sie starb in Polizeigewahrsam, nachdem sie von der sogenannten Sittenpolizei wegen des Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war. Mittlerweile gibt es weniger Straßendemonstrationen, gegen die der Sicherheitsapparat mit größter Härte vorgeht. Doch der Protest geht weiter. Insbesondere in Großstädten weigern sich viele Frauen, das obligatorische Kopftuch zu tragen. Im Dezember öffneten zahlreiche Ladenbesitzer mehrere Tage lang aus Protest ihre Geschäfte nicht.
Das US-Außenministerium warf dem Iran nach den Hinrichtungen vor, "Scheinprozesse" gegen die getöteten Männer geführt zu haben. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen in Genf äußerte sich ähnlich: Die Todesurteile seien nach "unfairen Prozessen und auf Grund von erzwungenen Geständnissen" vollstreckt worden. Die UN-Menschenrechtler forderten die Aussetzung aller Todesstrafen in dem Land. Der Auswärtige Dienst der EU appellierte an die iranischen Behörden, keine Todesurteile mehr gegen Demonstranten zu verhängen und zu vollstrecken. Der britische Außenminister James Cleverly nannte die Hinrichtungen "verabscheuungswürdig" und rief zu einem Ende der Gewalt auf.
Nach Darstellung der Justizbehörde hatten die beiden Männer vor Gericht zugegeben, bei Protesten in Karadsch, einem Vorort der Hauptstadt Teheran, einen angeblich unbewaffneten Sicherheitsbeamten mit einem Messer erstochen zu haben. Der Sicherheitsmann war Mitglied der berüchtigten paramilitärischen Basidsch-Einheit der Revolutionsgarden. Das Gnadengesuch der beiden Angeklagten wurde dem Mizan-Bericht zufolge vom obersten Gerichtshof abgelehnt.
Baerbock sprach sich für mehr Druck der EU auf Teheran aus. Mohammed-Mehdi K. und Sejed-Mohammed H. seien vom Regime erhängt worden, "weil sie sich dem brutalen und menschenverachtenden Handeln nicht unterwerfen wollten", schrieb die Grünen-Politikerin am Samstag bei Twitter. Dies seien zwei "weitere schreckliche Schicksale, die uns bestärken, mit der EU den Druck auf Teheran weiter zu erhöhen".
Die EU hatte nach der Hinrichtung des Rap-Musikers Mohsen S. und Madschid-Resa R. im Dezember auch wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen weitere Sanktionen gegen den Iran beschlossen. Diese haben laut Experten die bereits akute Wirtschaftskrise und die Inflation noch weiter verschärft. Die nationale Währung Rial hat seit Beginn der Proteste mehr als 25 Prozent an Wert verloren. Angesichts der Entwicklungen im Land ist kein Ende der Finanzkrise in Sicht. Einige Beobachter befürchten gar einen Wirtschaftskollaps in dem ölreichen Land. Die Existenznöte von Millionen Iranern haben nach Einschätzung von Beobachtern das Potenzial, eine weitere Protestwelle auszulösen.
Nach jüngsten Schätzungen der in den USA ansässigen Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) sind bei den Protesten bereits mehr als 500 Menschen ums Leben gekommen, unter ihnen 70 Minderjährige sowie knapp 70 Polizei- und Sicherheitskräfte. Mehr als 19 000 Demonstranten seien verhaftet worden.
Über die Zahl der zum Tode verurteilten Verhafteten gibt es widersprüchliche Informationen, da bei einigen das Todesurteil in Berufungsgerichten aufgehoben wurde. Auf der Todesliste der Justiz sollen aber 20 Demonstranten stehen. Die iranische Führung hat diese und ähnliche Angaben bislang weder bestätigt noch dementiert.
Wegen drastischer Einschränkungen des Internets wurde es zuletzt immer schwieriger, Demonstrationen über soziale Medien zu organisieren oder Videos und Fotos darüber zu verbreiten. Für Sonntag hatten Organisationen anlässlich des dritten Jahrestags des Abschusses einer ukrainischen Passagiermaschine bei Teheran zu neuen Demonstrationen aufgerufen - deswegen war bereits am Samstag der Zugang zum Internet wieder massiv eingeschränkt worden. Viele Hinterbliebene sind bis heute der Meinung, dass die Verantwortlichen nicht ausreichend zur Rechenschaft gezogen wurden./lkl/DP/nas