DANBURY/PULLACH (dpa-AFX) - Linde ist bislang gut durch Krisen wie die Corona-Pandemie und Lieferengpässe gekommen. Das Gewinnziel hat der weltgrößte Gasekonzern im abgelaufenen Jahr von Quartal zu Quartal angehoben. Allerdings hat zuletzt auch die konjunkturelle Eintrübung in Europa Spuren hinterlassen, der Absatz sank im dritten Quartal leicht. Derweil zieht sich der Konzern vom Börsenplatz Frankfurt zurück und räumt damit das Feld im Dax. Die wichtigsten Punkte für den Konzern, was Experten sagen und wie es für die Aktie läuft.

DAS IST LOS BEI LINDE:

Linde ist seit der Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair 2018 der weltgrößte Anbieter von Industriegasen. Der Konkurrent des französischen Konzerns Air Liquide beliefert die Auto-, Öl-, Chemie- und Metallindustrie genauso wie Lebensmittelhersteller und Krankenhäuser. Den Löwenanteil der Umsätze und Gewinne erwirtschaftet Linde in der Region Amerika, rund 25 Prozent der Erlöse kommen aus Europa und rund ein Fünftel aus Asien.

Die Geschäfte des Konzerns liefen bis zuletzt dank einer hohen Nachfrage aus den Elektronik- sowie Metall- und Bergbauindustrien rund. Allerdings hinterließ im dritten Quartal eine schwächere Konjunktur in Europa Spuren. Dennoch erhöhte Linde Ende Oktober erneut das Gewinnziel für 2022. Der um Sondereffekte bereinigte Gewinn je Aktie soll im abgelaufenen Jahr auf 11,93 bis 12,03 US-Dollar zulegen, nach 10,69 Dollar ein Jahr zuvor. Zum Gewinnplus soll neben Sparmaßnahmen auch ein dickes Auftragspolster beitragen.

Ungemach gibt es in Russland: Erst jüngst ordnete ein russisches Gericht laut Medienberichten an, russische Vermögenswerte von Linde im Wert von gut 450 Millionen Euro einzufrieren. Die Richter folgten dabei einem Antrag des Gemeinschaftsunternehmens Ruskhimalyans, das zur Hälfte Gazprom gehört. Dabei geht es um einen Gaskomplex im Ostseehafen Ust-Luga, den Linde ursprünglich errichten wollte. Wegen des Kriegs in der Ukraine hat der Konzern jedoch sein Geschäft in Russland auf Eis gelegt und angekündigt, sich von Geschäftsbereichen zu trennen. Das Unternehmen hat deswegen bislang gut eine Milliarde US-Dollar als Sonderbelastung verbucht.

Seit der Fusion mit Praxair wird Linde nach US-Stil geführt: Das Unternehmen schüttet jedes Quartal eine Dividende aus und bilanziert in Dollar. Zudem legt der Konzern immer wieder Aktienrückkaufprogramme auf. Der formale Sitz von Linde ist zwar in Dublin und der Steuersitz in London, die operative Führung sitzt aber zu großen Teilen in den USA. Nun zieht sich der derzeit wertvollste Konzern im Dax von der Frankfurter Börse zurück. Das Delisting in Frankfurt soll am oder um den 1. März erfolgen. Anschließend soll der Konzern in Linde umgetauft werden. Aktionäre der Linde plc sollen für je eine Aktie ein Papier des neuen Unternehmens erhalten, das an der New Yorker Börse notiert wird.

Die Struktur der doppelten Börsennotierung habe dem Unternehmen zwar von Anfang an gute Dienste geleistet, doch habe sie die Bewertung der Aktien durch die europäischen Beschränkungen und die zusätzliche Komplexität eingeschränkt, hatte Unternehmenschef Sanjiv Lamba den Schritt begründet. Ein Delisting in Frankfurt habe keine Auswirkungen auf die Konzernorganisation, Mitarbeiter, Kunden oder Engagement in den Regionen, in denen Linde plc tätig sei. Dazu zähle auch Deutschland, das ein wichtiger Markt für den Konzern bleiben werde, hatte der Linde-Chef betont.

Das Unternehmen wird am 7. Februar die Zahlen für das vierte Quartal und das Gesamtjahr 2022 vorlegen.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die Branchenexperten sind mit Blick auf die Linde-Aktie positiv gestimmt. Von den von der Nachrichtenagentur Bloomberg seit Januar erfassten 35 Experten empfehlen 28 die Aktie zum Kauf. Fünf Analysten raten zum Halten des Papiers und zwei zum Verkauf.

Nach Einschätzung von Analyst Geoff Haire von der Schweizer Großbank UBS dürfte das Volumenwachstum im Fokus von Investoren liegen. Dabei rechnet er 2023 mit einem Zuwachs in der Gassparte von 1,6 Prozent. Während die Region Asien-Pazifik von neuen Projekten profitieren sollte, dürfte der Absatz in der Region Europe, Naher Osten und Afrika (EMEA) leicht zurückgehen. Der Absatz in Nordamerika sollte sich im Vergleich zum Vorjahr nur etwas besser entwickeln. Zudem erwartet er, dass Linde mehr neue Energie-Projekte gewinnen wird. Für 2023 hält er ein Gewinnwachstum je Aktie von bis zu neun Prozent für möglich.

In dem herausfordernden Umfeld des Jahres 2023 sollte Linde laut Analyst Andreas Heine vom Investmenthaus Stifel erneut seine Widerstandsfähigkeit beweisen. Das Wachstum im ersten Quartal könne aber durch die Geschäfte mit in Tank-Containern und Flaschen gefüllten Gasen vor allem in Europa begrenzt werden, auch könnte sich ein langsamer Start in China ins erste Quartal dämpfend auswirken.

Der Experte erwartet 2023 ein Wachstum auf vergleichbarer Basis von drei Prozent. Keine Zuwächse seien in der Region EMEA zu erwarten, wo aber Preiserhöhungen die Volumenrückgänge ausgleichen dürften. Allerdings könnten höhere Zinszahlungen und geringere Beteiligungserträge den Anstieg des Gewinns pro Aktie konzernweit auf fünf Prozent begrenzen - und damit unter dem Ziel des Vorstands.

Durch das angekündigte Delisting von der Frankfurter Wertpapierbörse stehe die Aktie vorübergehend unter starkem Druck, so Heine. Dies könne bis in den Februar hinein anhalten.

Die Entscheidung zum Rückzug aus dem Dax könnte nach Einschätzung von Analyst Markus Mayer von der Baader Bank zu einem kurzfristigen Überhang an Aktien führen. Er äußerte vor allem aber die Sorge, dass negative spätzyklische Effekte weder in den Marktschätzungen noch in der Bewertung von Linde berücksichtigt seien. Mayer hat ein "Reduce"-Votum für Linde und bevorzugt unter den Industriegase-Anbietern den Konkurrenten Air Liquide.

Nach Einschätzung von Analyst Peter Spengler von der DZ Bank ändert sich mit dem Rückzug von dem Börsenplatz Frankfurt für den deutschen Linde-Aktionär bis auf die Währung wenig. Allerdings sei die Entscheidung für den Börsen- und Wirtschaftsstandort Deutschland eine Katastrophe. Es zeige sich jetzt, dass die sogenannte Fusion unter Gleichen in Wahrheit eine Übernahme durch Praxair gewesen sei und alte Zusagen wie die Doppelnotierung in Deutschland und in den USA nicht mehr gelten würden. Linde gehe damit einen ähnlichen Weg wie Hoechst (heute Sanofi) und MBB (heute Airbus mit Sitz in Frankreich).

SO LIEF DIE AKTIE ZULETZT:

Nach einer zwischenzeitlichen Erholung hat die Aktie seit dem Jahreswechsel rund zwei Prozent an Wert verloren. Noch Ende November markierte das Papier mit 334,70 Euro ein Rekordhoch. Zuletzt war ein Linde-Papier zu gut 298 Euro zu haben.

Im Zuge des Corona-Crashs hatte die Linde-Aktie noch bis Mitte März 2020 kräftig Federn gelassen. Innerhalb weniger Wochen knickte der Kurs um mehr als ein Drittel auf rund 130 Euro ein. Doch der Einbruch ist längst Geschichte. Nachdem sich vor allem die Industrieunternehmen schneller als erwartet von den Folgen der Pandemie erholt haben, legte der Linde-Kurs mit kleinen Rückschlägen kräftig zu und kletterte bis Ende November 2022 von einem Rekord zum nächsten.

Der Linde-Kurs hat sich seit dem Abschluss der Fusion Ende Oktober 2018 mehr als verdoppelt. Sie knüpften mit ihrer Entwicklung bisher nahtlos an die Gewinne der Aktien von Linde AG an. Diese hatten seit dem Sommer 2016, als die beiden Unternehmen zum ersten Mal über einen Zusammenschluss gesprochen hatten, bis zur Fusion um fast 40 Prozent zugelegt.

Linde hat derzeit einen Börsenwert von gut 148 Milliarden Euro und ist damit mit Abstand der wertvollste Wert im Leitindex Dax . SAP lag zuletzt mit einer Marktkapitalisierung von 125 Milliarden Euro hinter dem Hersteller von Industriegasen. Der französische Konkurrent Air Liquide kommt derzeit auf einen Börsenwert von knapp 76 Milliarden Euro.

Mitte August 2016 - also vor den ersten Berichten über eine Fusion mit Praxair - kam Linde gerade mal auf etwas mehr als 25 Milliarden Euro Börsenwert und lag damit noch in der unteren Hälfte des deutschen Leitindex./mne/tav/jha/