(neu: Entscheidungen der Nato-Verteidigungsminister, Leadabsatz angepasst)
KIEW/BRÜSSEL/NEW YORK/ASTANA (dpa-AFX) - Unter dem Eindruck massiver russischer Luftangriffe auf Wohngebiete und Infrastruktur in der Ukraine haben Deutschland und 14 weitere Staaten ein Projekt zur Verbesserung der europäischen Luftverteidigung auf den Weg gebracht. Zudem wollen die Nato-Staaten die eigenen Munitions- und Ausrüstungsbestände aufstocken sowie den Schutz kritischer Infrastrukturen verstärken. Kremlchef Wladimir Putin erlitt unterdessen in der Vollversammlung der Vereinten Nationen eine schwere diplomatische Niederlage. Die Ukraine, wo am Donnerstag wieder im ganzen Land die Sirenen heulten, kann mit weiterer Militärhilfe des Westens rechnen.
Raketenschutzschirm für Europa und Moskaus Atomdrohung
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht unterzeichnete am Donnerstag am Rande eines Nato-Treffens in Brüssel mit Kolleginnen und Kollegen eine Erklärung zu der sogenannten European Sky Shield Initiative. Diese soll über die Beschaffung neuer Waffensysteme helfen, bestehende Lücken im derzeitigen Nato-Schutzschirm für Europa zu schließen. Defizite gibt es dort beispielsweise im Bereich ballistischer Raketen, die auf ihrer Flugbahn große Höhen erreichen, aber auch bei der Abwehr von Drohnen und Marschflugkörpern.
Deutschland unzureichend gegen Luftangriffe geschützt
Derzeit verfügt Deutschland für den näheren Bereich und die Bekämpfung von Flugzeugen und Hubschraubern über die Luftabwehrrakete Stinger. Auf die mittlere Distanz wirkt das größere Patriot-System. Deutschland hat noch zwölf Abschussanlagen - was aber bei weitem nicht für den Schutz des gesamten Landes reicht. Bei der Abwehr ballistischer Raketen, die auf ihrer Flugbahn große Höhen erreichen, wird der Bundeswehr sogar eine "Fähigkeitslücke" bescheinigt.
Nato stockt Munitions- und Ausrüstungsvorräte auf
Die Nato-Staaten wollen angesichts der neuen Bedrohungslage durch den russischen Angriff auf die Ukraine auch die Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie erhöhen. "Wir haben heute Entscheidungen getroffen, um unsere Munitions- und Ausrüstungsvorräte aufzustocken", sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag nach einem Verteidigungsministertreffen in Brüssel.
Schutz kritischer Infrastruktur soll verstärkt werden
Zudem verständigten sich die Nato-Staaten nach den mutmaßlichen Sabotageakten gegen die Erdgasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 auf eine bessere Überwachung von kritischer Infrastruktur. Konkret nannte Stoltenberg die Infrastruktur im Energie- und Unterwasserbereich. In der Nord- und Ostsee sei die maritime Präsenz der Nato nach den mutmaßlichen Sabotageakten bereits verdoppelt worden.
Nur noch autoritäre Regime an Russlands Seite
Bei einer nicht bindenden Abstimmung in der Vollversammlung der UN in New York verurteilten 143 von 193 UN-Mitgliedsstaaten die völkerrechtswidrige Annexion ukrainischer Gebiete durch Moskau. Nur vier international ebenfalls stark isolierte Staaten mit autoritären Regimen - Belarus, Nordkorea, Nicaragua und Syrien - hielten noch zu Russland. 35 Staaten enthielten sich.
Russland bombardiert weiter zivile Ziele in der Ukraine
Ungeachtet der internationalen Verurteilung setzte Russland seine Luftangriffe auf zivile Ziele auch am Donnerstag fort, wie die Ukraine mitteilte. Die Region um die ukrainische Hauptstadt Kiew sei erneut mit Drohnen angegriffen worden, sagte der regionale Polizeichef Andrij Nebitow. Über mögliche Opfer war zunächst nichts bekannt. Schwere Angriffe erschütterten in der Nacht auch Mykolajiw im Süden.
Nato liefert Ukraine Hunderte Störsender zur Drohnenabwehr
Die Nato wird die Ukraine mit Ausrüstung zur Drohnen-Abwehr unterstützen. In Kürze würden Hunderte sogenannte Jammer geliefert, sagte Stoltenberg. Diese könnten dabei helfen, in Russland und im Iran hergestellte Drohnen unwirksam zu machen. Spanien wird der Ukraine nach Angaben des Nato-Generalsekretärs Flugabwehrraketensysteme liefern, zusätzlich zu dem, was andere Verbündete in den vergangenen Tagen geliefert hätten.
Macron betont Redebereitschaft mit Putin: "Wollen keinen Weltkrieg"
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte Kremlchef Wladimir Putin in beschwichtigenden Worten zum Einlenken im Ukraine-Krieg auf. "Wir wollen keinen Weltkrieg", schrieb er auf Twitter. "Wir helfen der Ukraine dabei, ihren Boden zu verteidigen, niemals dabei, Russland anzugreifen. Wladimir Putin muss diesen Krieg beenden und die territoriale Integrität der Ukraine respektieren."
Ukraine: 186 mutmaßliche russische Kriegsverbrecher identifiziert
Die Ukraine hat nach Angaben ihres Generalstaatsanwaltes bislang 186 mutmaßliche russische Kriegsverbrecher identifiziert. Nur wenige von ihnen befänden sich in Haft, teilte Generalstaatsanwalt Andriy Kostin in Den Haag mit. Das Ausmaß der Verbrechen sei immens. Es gebe Hinweise etwa auf Folter, Mord, Vergewaltigung oder Vertreibung. In 45 Fällen seien die Ermittlungen abgeschlossen, 10 Personen seien verurteilt.
Putin sucht nach neuen Wegen für sein Gas gen Westen
Bei einem Treffen in der kasachischen Hauptstadt Astana schlug Putin dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, die Türkei mithilfe russischen Gases zu einem Umschlagpunkt und einer Börse für Erdgas auszubauen.
Druschba-Betreiber schließt Sabotage an Öl-Pipeline vorerst aus
Der Betreiber der Ölpipeline Druschba in Polen schließt Sabotage als Grund eines Lecks vorerst aus und begann mit Reparaturarbeiten. Die Ursache der Leckage werde derzeit noch untersucht, teilte das Unternehmen Pern mit.
Selenskyj bittet um weitere 55 Milliarden Dollar Finanzhilfe
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezifferte den Finanzbedarf seines Landes auf 55 Milliarden Dollar. Bei einem Runden Tisch des IWF und der Weltbank zu Ukraine-Hilfen forderte er ein regelmäßiges Forum zur finanziellen Unterstützung seines Landes./aha/DP/nas