BERLIN/KOPENHAGEN/WARSCHAU (dpa-AFX) - Nach der Beschädigung der Nord-Stream-Gaspipelines unter der Ostsee suchen Behörden in Deutschland und Dänemark weiter nach der Ursache. Die dänische Marine und deutsche Spezialisten bemühten sich um Aufklärung, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Dienstagmorgen aus Sicherheitskreisen. Bislang sei die Ursache für die Vorfälle nicht geklärt. Jedoch spreche einiges für Sabotage. Sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des technischen Aufwands eigentlich nur ein staatlicher Akteur infrage kommen.

Polen schließe nicht aus, dass die von dänischen Behörden entdeckten Lecks an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 auf eine russische Provokation zurückzuführen seien. Man befinde sich in einer Situation hoher internationaler Spannung, sagte Polens Vize-Außenminister Marcin Przydacz am Dienstag in Warschau. "Leider verfolgt unser östlicher Nachbar ständig eine aggressive Politik. Wenn er zu einer aggressiven militärischen Politik in der Ukraine fähig ist, ist es offensichtlich, dass keine Provokationen ausgeschlossen werden können, auch nicht in den Abschnitten, die in Westeuropa liegen."

Auch Russland schließt Sabotage oder andere Gründe nicht aus. "Jetzt kann keine Variante ausgeschlossen werden", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag auf die Frage, ob Sabotage der Grund sein könne für den Druckabfall.

In der Nacht zum Montag war zunächst in einer der beiden Röhren der nicht genutzten Pipeline Nord Stream 2 ein starker Druckabfall festgestellt worden. Am Montagabend meldete der Betreiber dann auch einen Druckabfall in beiden Röhren von Nord Stream 1.

Wegen der Lecks hat die zuständige dänische Schifffahrtsbehörde nahe der dänischen Insel Bornholm Sperrzonen für den Schiffsverkehr eingerichtet. Dänische Behörden haben an den Gaspipelines insgesamt drei Lecks entdeckt. Es sei die Rede von zwei Lecks an Nord Stream 1 nordöstlich der Ostsee-Insel Bornholm sowie einem an Nord Stream 2 südöstlich der Insel, teilte die dänische Energiebehörde am Dienstag mit. Im Falle von Nord Stream 1 befinde sich das eine Leck in dänischen und das andere in schwedischen Gewässern. Das Leck von Nord Stream 2 liege in dänischen Gewässern.

Man veranlasse derzeit Untersuchungen, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG, die für Nord Stream 1 zuständig ist. Zum Ausmaß etwaiger Schäden könne man vorher keine Angaben machen. Im Bereich um Bornholm liegen die Leitungen seiner Aussage nach etwa 70 Meter unter der Wasseroberfläche. Laut Nord-Stream-2-Sprecher Ulrich Lissek sind die Leitungen so verlegt, dass eine gleichzeitige Beschädigung mehrerer Leitungen etwa durch einen einzelnen Schiffsunfall höchst unwahrscheinlich ist. Zur Frage, ob ihm ähnliche Vorfälle im Zusammenhang mit Offshore-Pipelines bekannt seien, sagte er: "Hab' ich nie gehört."

Auch ein Experte für Unterwasserroboter verwies im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur auf die extrem hohen Sicherheitsstandards und die sehr robuste Bauweise der Leitungen. Aus seiner Sicht kommt nur eine bewusste Manipulation in Frage. Nach seiner Einschätzung werden Behörden nun mit Tauchrobotern Erkundungen vornehmen.

Wie die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" unter Berufung auf das dänische Militär berichtete, wurde das Leck an Nord Stream 2 am Montag von dänischen F-16-Kampfjets entdeckt. Sie wurden demnach von Bornholm aus in die Luft geschickt, um das Gebiet zu fotografieren. Sie hätten dabei entdeckt, dass an einem Punkt südöstlich der Insel Blasen aus dem Wasser aufgestiegen seien.

Nach Angaben der dänischen Energiebehörde können Schiffe den Antrieb verlieren, wenn sie in das Gebiet hineinfahren. Zudem bestehe möglicherweise eine Entzündungsgefahr. Außerhalb der Zone gebe es keine Gefahr, auch nicht für die Einwohner von Bornholm und der kleinen Nachbarinsel Christiansø.

Deutsche und dänische Behörden wiesen darauf hin, dass die Vorfälle keine Auswirkung auf die Gasversorgung hätten, da die Leitungen zuletzt nicht für den Gasimport benutzt worden seien.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) schätzt die möglichen kurzfristigen Auswirkungen der Lecks an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 auf die Umwelt als lokal begrenzt ein.

Während über die Pipeline Nord Stream 1 bis vor einigen Wochen noch Gas aus Russland nach Deutschland geflossen war - wenn auch mit gedrosselter Kapazität - war die Genehmigung für den Import über Nord Stream 2 kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine von der Bundesregierung auf Eis gelegt worden. Danach hatte sie wegen des Krieges eine Nutzung ausgeschlossen./chh/DP/zb